Forum agil lernen und lehren helix 2019   nr. 02 haTTie SiChTBar maChen Auf die Lehrer/innen kommt es an: Was sie tun. Auf die Schule kommt es an: Was sie zulässt. Auf die Schüler/innen kommt es an: Was sie umsetzen. hatties hohe effektstärken beschreiben ein agiles mindset peer reviewed


2 willkommen bei helix 2 Ich darf Sie hier im Namen des Forums agil lernen und lehren ganz  herzlich begrüßen. Wir freuen uns, dass wir Ihnen in  unserem zweiten Magazin mit der weltweit größten Bildungs- studie zeigen können, warum dem agilen Lernen die Zukunft  gehört. Insbesondere begrüßen wir diejenigen Leser/innen, die  sich gerade zur Lehrperson ausbilden lassen. Mit dem Ziel, sich  nicht erst im Pensionsalter wie ich z.B. mit Hattie und agilem  Lernen und Lehren auseinanderzusetzen, sondern schon gleich zu  Beginn der Schullaufbahn mit einem ganz anderen Blickwinkel auf  Bildung einzusteigen, um dann ein erfolgreiches, befriedigendes  Lehrerleben zu beginnen. Bis zur Pensionierung.  Wer als junge Lehrperson erst einmal in der klassischen Unter- richtsschiene angekommen ist, Kinder hat samt beruflicher  Belastung des Ehepartners ... wer als junge Lehrperson erst einmal  alle Klassenstufen unterrichtet und sich damit eingerichtet hat im  schulischen Alltag ... wer als junge Lehrperson merkt, wie wenig  Zeit man am Ende übrig hat, um wirklich neue Ansätzen für sich  zu finden, der wird es mit der Umstellung schwer haben. Die  Umstellung des klassischen Unterrichts auf agiles Unterrichten  bedarf eines Paradigmenwechsels, der im laufenden Betrieb die  uralte Angst von uns Lehrpersonen, „unseren Unterrichtsstoff  nicht durchzubekommen“, denkbar leicht befeuern kann. Obwohl  am Ende das Gegenteil der Fall ist. Agiles Lehren und Lernen  bedarf eines Rahmensettings, das die Lehrperson vorgibt ... das ist  das genaue Gegenteil von “ Laissez faire“ und „dann macht mal.“  Aber wer dieses Rahmensetting erst einmal beherrscht, der wird als  Lehrperson Schule hochzufrieden erleben können. Als ich selbst zum ersten Mal von John Hattie und seiner  Metastudie gehört hatte, hatte ich in meinen eigenen Lehrerkreisen  oft das abwinkende „Hab ich doch schon immer gewusst - „auf  den lehrer kommt es an. “ gehört. Und das gleichzeitig scheinbar  beruhigende „Ich muss nur ein guter Typ sein, dann bin ich auch  ein guter Lehrer.“ Sorry, wer behauptet denn bitteschön von sich  selbst, er wäre ein blöder Typ. Also schrammte die Hattie-Studie  eigentlich fast spurlos an deutschen Lehrerzimmern vorbei. Dabei  hat John Hattie natürlich überhaupt nichts vom Typ des Lehrers  oder der Lehrerin geschrieben, sondern darüber, wie lehr- personen unterricht machen. welche haltung sie gegenüber Schüler/innen besitzen und was dann daraus entstehen kann. 2018 wurde eine neu aufgelegte Hattie-Studie mit noch viel mehr  Faktoren veröffentlicht und da wir davon überzeugt sind, dass gute  Bildung einfach „gute Zusammenarbeit“ mit Schüler/innen ist,  wie wir das versucht haben, in unserem ersten Helix-Magazin zu  erläutern, versuche wir in diesem Heft jetzt einmal, agiles  Lernen und Lehren auch mit Hilfe der Hattie-Studie 2018 zu  erzählen.  Denn diese Hattie-Faktoren belegen, um was es geht, wenn  Hattie meint, dass es auf den Lehrer ankommt. Logisch ist erst  einmal, dass natürlich die Lehrperson innerhalb eines bestehenden  Bildungssystems, eines Bildungsplans und einer konkreten Schule  vorgibt, wie gelernt wird. Die Lehrperson hat es definitiv in der  Hand. Kein Schüler kann einfach von sich aus entscheiden, dass er  doch bitteschön lieber selbstständig in Teams lernen würde anstatt  frontal unterrichtet zu werden.  diese hattie-Studie. „Der durchschnittliche Effekt aller Faktoren beträgt etwa 0,4. „Wie bitte? 0,4? Muss ich das verstehen?“ fragen sich jetzt sicher  viele. Ich versuche es knapp: Sie sind Mathelehrer und die Verteilung  der Noten bei einer Ihrer Standard-Klassenarbeiten würde aussehen  wie in Figur eins. Man nennt dies normalverteilung. Der Abstand  von der Mitte bis zum mathematischen Wendepunkten dieser  Kurve (wenn die Kurve von immer steiler zu immer flacher über- geht) nennen wir Mathematiker die Standardabweichung. Spielen  wir einmal durch, was passieren würde, wenn Sie den Fokus Ihres  Unterrichtseinsatzes auf einen Hattie-Faktor mit der Effektstärke  von 0,5 auf der Hattie-Skala legen würden - zum Beispiel das „Unter- streichen und Hervorheben“ für Ihrem Unterricht konsequent als  Prinzip einführen würden, während Sie vorher darauf überhaupt  keinen Wert gelegt hätten. Wenn Sie also von unstrukturiertem  Unterrichtsablauf zu strukturiertem Ablauf wechseln würden, dann  sagt die Studie, dass die Ergebnisse Ihrer Standard-Klassenarbeit  mit dem Mittelwert um die Hälfte der Standardabweichung ver- schoben würde, wenn man Hattie übersetzt. Natürlich unterrichtet  der normale Mathematiklehrer keinen unstrukturierten Einheits- brei, ohne dass seine Schüler/innen wissen, was wichtig ist und was  nicht. Aber jeder wird intuitiv selbst wissen, wie „Unterstreichen  und Hervorheben“ im Unterricht von wirklicher Bedeutung sein  kann. Nichts anderes sagt die Studie mit der Effektstärke von 0,5  für „underligning an higlighting“.  Das zumindest ergeben die Statistiken aus Millionen von Schüler- leistungsdaten weltweit, die das Team von John Hattie aus einer  riesigen Menge von Einzelstudien zusammengetragen hat. Willkommen                              Otto Kraz Effektstärken & Co


Effektstärken & Co Von 252 Faktoren aus der neuesten Studie findet man knapp 20  im negativen Bereich ... Faktoren, die dem Lernen schaden, wie  z.B. Mobbing. Dann 110 unter dem Durchschnittswert von 0,4  und gut 120 darüber. 0,16 bis 0,4 nennt Hattie Schulbesuchs- effekt, über 0,4 nennt er es erwünschte Effekte, weil sie eben  besonders effektiv sind.  Bis auf die negativen Faktoren tragen natürlich alle etwas zum  Lernerfolg bei, allerdings mit ganz unterschiedlichem Ausmaß.  Hattie warnt ausdrücklich davor, einfach nur nach niedriger oder  hoher Effektstärke einzuteilen und danach zu urteilen, was sich  lohnt, eingesetzt zu werden. Denn es kann sehr wohl sein, dass ein  Faktor mit einer kleinen Effektstärke von 0, mit wenig Aufwand  einzusetzen ist und damit dem Lernprozess einen Vorteil bringt.  Trotzdem macht es natürlich Sinn macht, sich die Faktoren mit  den höchsten Effektstärken anzusehen, um zu erkunden, ob sie für  einen selbst umsetzbar sind. Wenn ja, wäre man ja einfach doof,  man würde sich diese Chance für seine berufliche Zufriedenheit als  Lehrer/in entgehen lassen.  und - das sei schon vorweggenommen - damit sind wir mitten im agilen lernen und lehren.  Wenn Sie Lehrperson sind und sich das Bild anschauen, dann  würden Sie doch sicher gerne wissen, was die Faktoren mit den  Effektstärken zwischen 1 und 1,6 sind. Mehr geht in der aktuellen  Studie nicht.  es sind gerade mal sieben Stück.  Figur 1


Effektstärken & Co Beginnen wir: An der Spitze: Zusammenarbeit unter Kollegen und -innen. Das  ist ein löbliches Ziel, das allerdings in der üblichen Schulpraxis  oft durch den Zeitaufwand viel zu selten ausgespielt werden kann.  Höchste Effektstärke mit 1,57. Da beim agilen Lernen und Lehren  die Schüler/innen selbst quasi zu Lern-Kollegen werden, mit denen  man auf Augenhöhe zusammenarbeitet, hat man diesen Faktor  schon mal eingepackt.  Zweitens: die Selbsteinschätzung der eigenen leistung ist ein  wesentliches Element, effektiv an seiner eigenen Ausbildung arbeiten  zu können. Regelmäßiges Feedback wie beim agilen Lernen ist  dabei ein wesentlicher Fokus mit der Effektstärke von 1,33. Auch  dass Sie als Lehrperson die Stärken, Schwächen und lücken ihrer  lernenden richtig einschätzen können , wird durch agile Arbeits- weise vollautomatisch angewandt. Effektstärke 1,29. Nur durch  dieses Wissen kann man als Lehrperson auch die passgenauen  Klassenarbeiten zusammenstellen , um mit den falschen Noten  nicht kontraproduktiv ins eigene Unterrichten einzugreifen. 1,29.  Möglichkeiten, wie man individuelle Lernprozessen während des  Unterrichtens sichtbar machen kann, nennt man formative  evaluation . Effektstärke 1,29. Damit erkennt man als Lehrperson,  wo es gut läuft, wo es klemmt und wo man als nächstes angreifen  kann. LUUISE, später ausführlich besprochen, ist solch ein Verfahren,  das an der FHNW gelehrt wird. Und auch zum agilen Methoden- koffer gehört. regelmäßiges Feedback ist die einzige Möglich- keit, als Lehrender den unterschiedlichen Entwicklungsstand der  Lernenden erfassen zu können, um darauf richtig zu agieren. 1,28.  Und die Nummer sieben heißt Jigsaw Method und ist in etwas die  Methode, die man im deutschsprachigen Pädagogenraum unter  gruppenpuzzle  kennt. Effektstärke 1,2.  Scrum-Teams bei eduSc- rum toppen dies Methode natürlich, damit landet agiles Lernen  und Lehren satt unter den Top Sieben.  Aber auch unter den Top 20 findet man zum großen Teil agiles  Handwerkszeug und Mindset. als lernender an sich selbst zu  glauben lernen  schlägt mit d=0,92 zu Buche und die glaubwür- digkeit der lehrperson  mit 0,9. Agil funktioniert sowieso nur  mit agilem Mindset und diese beiden Faktoren gehören zwingend  dazu. Ebenso wie diskussionen über lernprozesse und den  unterricht  mit 0,82. Scaffolding ... das ist so etwas in die Rich- tung der Regeln beim Scrum. ein rahmen, innerhalb dessen man  komfortabel lernen kann.  Deliberate Practice mit einer Effektstärke  von 0,79  ... Ziel kennen, an die eigenen Grenzen gehen, Ziel in  winzige Teilziele zerlegen, regelmäßiges Feedback bekommen, nicht  aufgeben ..  dieser Faktor ähnelt doch schon sehr stark Ansätzen, wie  sie eduScrum&Co als Grundlage besitzen. Samt regelmäßigem  Zusammenfassen  mit 0,79 und „Effort“ also Anstrengung mit  0,77.  Ja klar, agiles lernen und lehren ist alles andere als laissez faire. agiles lernen und lehren ist echte arbeit ... mit einem starken ergebnis.       Viel Spaß bei diesem Magazin     Otto Kraz Nochmals der Tipp für Referendar/innen: Verschieben Sie die Auseinandersetzung mit agilem Unterrichten nicht auf später. Wenn Sie dann  einmal „richtige/r“ Lehrer/in sind. Der normale Unterrichtsbetrieb wird Sie in Beschlag nehmen. Erst dann den Blickwinkel radikal zu ändern  ist ein großer Aufwand. Versuchen Sie deshalb schon in der Referendarszeit die Zukunft des Unterrichtens zu erlernen.  Sie werden sich bei Ihrer Pensionierung mächtig stolz auf die Schultern klopfen.  Denn agil unterrichten tut einfach gut und nimmt Belastung weg, je mehr Erfahrung man darin bekommt.


5 Effektstärken und Co 1 Collective teacher efficacy 1,572 Self-reported grades 1,33 3 Teacher estimates of achievement 1,29 Cognitive tasks analysis 1,29 5 response to intervention 1,296 piagetian programs 1,28 7 Jigsaw method 1,20 . .


6 Lernwirksamkeit in einem Satz Gibt es die Haupterkenntnis von John Hattie in einem Satz?  Daraufhin habe ich verschiedene seiner Publikationen durchgesehen;  denn wenn jemand mit seinem Team über 50000 quantitative  Studien und über 800 Metaanalysen in einer Meta-Metaanalyse  zusammenfasst, wenn jemand so gross angelegt eine einzige, präzise  Frage verfolgt, nämlich »Was ist lernwirksam?«, daran viele Jahre in  unterschiedlichen Konstellationen arbeitet, dann lernt diese Person  selbst bei alledem ja enorm viel.  Was würde ein solcher Forscher wohl antworten, wenn man seine  Telefonnummer wählen und ihn fragen würde: »Ok, und jetzt bitte  das Wichtigste in einem Satz?« Ich meine diesen Satz gefunden zu haben, nämlich im Hauptwerk  »Visible Learning«, Seite 22 unten. Warum bin ich mir ziemlich  sicher, dass das dieser Kernsatz ist? Weil: Unumstritten ist John  Hattie der Meinung, dass die Lehrperson der entscheidende Punkt  ist. Das bestätigt er auch hier: The major message is simple - what teachers do matters. howe-ver, this has become a cliché that masks the fact that the greatest source of variance in our system relates to teachers - they can vary in major ways. Also: Die meisten Wirkungen darauf, ob Lernen stattfindet,  stammen von den Lehrpersonen. Glücklicherweise verwahrt er sich  hier sofort dagegen, dies zu einem Cliché verkommen zu lassen  im Sinne von: Die Lehrperson ist wichtig, also alle Achtung vor  Lehrpersonen! Das klingt nett und ist falsch. Es gibt nämlich einen  »Zusatz« (»Codicil«), eine Bedingung. Diese entscheidet darüber,  ob Lehrpersonen ihren so sehr grossen Einfluss zum Guten nutzen,  oder zum Schlechten. Die grösste Variabilität hinsichtlich Lern- wirkung stammt von der Lehrperson – also positiv wie negativ. The codicil is that what »some« teachers do matters - especially those who teach in a most deliberate and visible manner. Lernwirksamkeit hängt somit nicht wirklich von der Lehrperson  ab (im Sinne von: Hauptsache, eine Lehrperson ist da), sondern,  davon, was diese tut, wie Hattie wörtlich schreibt. Trichterförmig läuft das Fazit, das Hattie zieht, in drei Schritten  auf die Pointe zu:  1. es gibt viele Faktoren für lernwirksamkeit. 2. die wichtigsten liegen in der hand der lehrpersonen. 3. was lehrpersonen tun, welche dies positiv nutzen, lässt sich in einem Satz sagen. 1.  Es gibt sehr viele Faktoren, die beeinflussen, ob Schüler bzw.  Studierende in einer konkreten Situation lernen – hier nur einige  Beispiele zur Illustration (vgl. Hattie 2009): frühere Erfolgserlebnisse  der Lernenden (hat deutlich positiven Einfluss), wie teuer die  Infrastruktur der Schule ist (hat kaum Einfluss), ob Lernende in  der Freizeit viel fernsehen (hat leicht negativen Einfluss), ob die  unterrichtende Lehrperson das Unterrichten praktisch trainiert  und Feedback von anderen Lehrenden und Fachleuten erhält  LERNWIRKSAMKEIT IN EINEM SATZ         Christof Arn Christof Arn versucht in diesem Artikel, die zentrale Aussage der  Hattie Studie in einem Satz zu finden. Wir werden natürlich John  Hattie ein Exemplar von Helix 2 schicken und einmal direkt  nachfragen, ob Christof Arn den Satz tatsächlich gefunden hat. 


Lernwirksamkeit in einem Satz (»Microteaching« hat starken positiven Einfluss), Einsatz von  digitalen Technologien (hat als solches generell wenig Einfluss),  studentische Mobilität (hat deutlich negativen Effekt), elterliche  Unterstützung (leicht positiver Effekt, aber negativer Effekt, wenn  eher »überwachend«), ob Lehrende den Lernenden differenziertes  Feedback geben (hat stark positiven Effekt) usw. 2. Gruppiert man alle diese Faktoren nach solchen, die von der  lernenden Person abhängen, solchen, die zu Herkunft/Elternhaus  gehören, solchen, die von der konkreten (Hoch-)Schule gestaltet  werden, solchen, die von der Lehrperson abhängen, solchen, welche  vom Curriculum/Lehrplan bestimmt werden und solchen, die von  der Unterrichtsmethoden bestimmt werden, dann haben  diejenigen den grössten Einfluss (positiv wie negativ), welche von  der Lehrperson beeinflusst werden. (Hattie 2009, 18) . Nun ist man natürlich gespannt: Was genau sollen die auf die  Lernwirkung so sehr einflussreichen Lehrpersonen denn tun, damit  viel Lernen geschieht? Wie können sie die Tatsache, dass besonders  viel von ihnen abhängt, positiv nutzen? Interessanterweise wagt es Hattie, genau diese Frage kurz und  knapp zu beantworten. Wenn er nun sagt, worin eben dieses  »codicil«, dieser Zusatz besteht, dann ist das wohl der Satz, den  man hören könnte, würde man ihn anrufen und fragen, was in  seinen Augen die Pointe sei: when these professionals see learning occurring or not occurring, they intervene in calculated and meaningful ways to alter the direction of learning to attain various shared, specific, and challenging goals. (hattie 2009, 22) Nun: Wenn das die Essenz aus über 50000 quantitative Studien  und über 800 Metaanalysen ist, dann macht es Sinn, diesen Satz  wenn nicht Wort für Wort, so doch Satzteil für Satzteil genau  wahrzunehmen. Dies wird nun unternommen, illustriert mit  Beispielen aus der Hochschuldidaktik. »when these professionals see learning occurring or not occurring« a) was ist das?Hier geht es um deutlich mehr als um »zielgruppengerechtes  Unterrichten«, oder darum, »die Menschen dort abzuholen, wo  sie sind«. Dennoch: Diese beiden bekannten Punkte führen in die  richtige Richtung. Es war – und ist – eine gute Idee, sich im Voraus  zu überlegen, von welcher Art die »Zielgruppe« ist, mit der wir es  zu tun haben. Da kann dann Entwicklungspsychologie schon helfen,  die »Zielgruppe« der 6jährigen von derjenigen der 10jährigen  unterscheiden zu können, oder Studierende mit Berufserfahrung  von solchen, die das Feld noch kaum kennen. Allerdings geht es  Hattie um mehr. Denn er schreibt nicht: »Diese Lehrenden kennen  ihre Zielgruppe (wissen z.B., was für ein Lernen im betreffenden  Alter/Lebensabschnitt der Lernenden typischerweise stattfindet).«  Es geht in diesem Satzteil nicht um »die Zielgruppe«, sondern um  die jetzt anwesenden Menschen. Diese Lehrenden nehmen wahr,  was die hier anwesenden Lernenden gerade lernen – falls sie lernen.  So ist es beinahe (!) nebensächlich, was denn alterstypisch oder  zielgruppenspezifisch wäre. Es ist sekundär, ob die konkreten  Lernenden typisch sind für ihre Gruppe oder im Einzelfall eher 


8 nicht. Denn diese Lehrpersonen arbeiten mit den Anwesenden,  nicht mit einer »Zielgruppe«. Aus folgendem Grund ist das zudem mehr als »abholen, wo die  Lernenden stehen«: Diese Lehrenden achten nicht primär darauf,  wo die Lernenden stehen, sondern fokussieren ihre Wahrneh- mung darauf, was die Lernenden machen; ein kleiner, aber feiner  Unterschied: Beim »Abholen« liegt die Hauptaktivität bei der  abholenden Person, die andere Person »wird abgeholt«, ist passiv.  Und bleibt es auch: Wenn die abholende Person bei der abzuholenden  angelangt ist, ist die abholende Person der »Schrittmacher«, die  Hauptakteurin. Liebevoll hoffentlich und fürsorglich. Hatties  Lehrpersonen sehen demgegenüber allererst die Lernenden als die  Schritte-Macher (oder eben Nicht-Schritte-Macher) und sich als  Hinschauer*innen (!), als Wahrnehmer*innen. (Hatties Lehrper- sonen sind durchaus auch Macherinnen – aber nach dem Wahr- nehmen, s.u.) Der matchentscheidende Punkt an den Lehrenden ist also nicht  die Fähigkeit, Unterricht vorzubereiten und sich nachher an den  vorbereiteten Ablauf zu halten. Eine ganz andere Kompetenz der  Lehrperson ist zu allererst zentral – eine Kompetenz, die auf den  ersten Blick wenig  nach »lehren«, »unterrichten« klingt:  hinschauen, wahrnehmen. Eine pädagogische Strömung, die dieses Anliegen bereits vor  Jahrzehnten sorgfältig vertiefte, rückt aktuell stärker in den Fokus  der Aufmerksamkeit: Die »personzentrierte Didaktik«, die auf Carl  Rogers zurückgeht, ist empirisch gut erforscht und bietet mit prak- tischen Konzepten alltagstaugliche Hinweise, wie »Bedingungsfreie  Positive Beachtung« und »Empathie eines facilitators«  (Kunze-Pleat 2019, S. 420 und passim). B) wie funktioniert das? In Hirne und Herzen von Menschen lässt sich nicht hineinschauen  – und wenn man es mit den bekannten Verfahren der Visualisie- rung von Hirnaktivitäten täte, wäre das auch keine grosse Hilfe.  Eine kleine Hilfe könnte es sein: Wären die Köpfe von Lernenden  mit Sensoren verdrahtet, könnten die Lehrenden wissen, ob jemand  eher im Entspannungs- oder im Stressmodus ist und welche  Hirnareale aktiv sind. Interessanterweise kann man vieles von dem  auch weniger invasiv, also freundlicher, wahrnehmen. Vor allem  aber kann man mit anderen Vorgehensweisen viel genauer wahr- nehmen, was bei Lernenden passiert.  Drei Techniken seien hier vorgestellt: i) Fragen.  Ist man unsicher, was bei meinen Studierenden gerade  passiert – was öfter vorkommen kann, wenn Dozierende (zu) lange  selbst geredet haben – kann man danach einfach fragen. Mich  persönlich – und das hat viel mit mir zu tun – haben in solchen  Unterrichtssituationen (früher öfter als heute) Einsamkeitsgefühle  befallen.  »Einfach fragen« wurde zu meiner präferierten Methode,  um daraus wieder hinauszufinden. Inzwischen ist das für mich  generell eine Vorgehensweise, um im Kontakt zu bleiben und als  Lehrender das tun zu können, was für die Lernenden gerade jetzt  hilfreich ist. Das Vorgehen besteht schlicht darin, zu fragen: »Was  geht Ihnen gerade durch den Kopf?« Oder: »Wo sind Sie im  Moment in Ihrem Denken?« Bzw.: »Wo stehen Sie gerade, mental?«  Diese Frage muss je nach »Zielgruppe« anders lauten. »Worüber  denken Sie gerade nach?« »Welche Frage beschäftigt Sie im  Moment?« o.ä. Eher ungeeignet hingegen sind Fragen wie: »Sind  Sie noch dabei?« Oder: »Haben Sie Fragen?«. Bei dieser Technik kann man einige Punkte beachten. Stellt man  Studierenden die Frage: »Wo sind sie gerade?«, so sind sie typischer-  weise kurz irritiert. Anscheinend sind sie es nicht gewohnt, dass  sich Lehrende dafür interessieren. Doch dauert die Irritation in der  Regel nur kurz. Schon nach erstem Nachdenken darüber erscheint  ihnen diese Frage völlig schlüssig. Denn auch aus ihrer Perspektive  macht es ja schon Sinn, dass »die/der da vorne« in etwa weiss, was  in ihren Köpfen gerade passiert. Arbeitet man mit dieser Technik,  ist also die erste Herausforderung, die Schweigezeit selbst zu ertra- gen, ohne sich unter Druck zu fühlen (»Wird es klappen mit dieser  Frage?«) und vor allem, ohne die Lernenden unter Druck zu setzen.  Man kann also etwas Entspannendes sagen (»Ja genau, wo stehen  Sie gerade?, das zu wissen wird mir helfen, die nächste Sequenz  geeignet zu gestalten.« Oder, falls sich länger niemand meldet: »Ja,  ist vielleicht gar nicht so einfach, so ein Zwischenstopp – besprechen  Sie doch kurz zu zweit, wo Sie gerade stehen, wir sammeln das  nachher und gewinnen so einen Überblick über den aktuellen  Stand, von dem wir dann ausgehen können«), während man die  Frage allerdings aufrecht erhält (am besten, ohne sie, schlimmsten- falls mehrmals, umzuformulieren – das verwirrt nämlich). Dann  meldet sich eine erste Person. Man erfährt, also, worüber sie gerade  nachdenkt – und widersteht bitte der Versuchung, diese Antwort  direkt als das zu nehmen, woran man nun anknüpft, um wieder  im Kontakt zu sein. Stattdessen fragt man oft besser: »Wie geht es  anderen?« Nachdem man nochmals ein, zwei Hinweise erhalten und  zugleich aufmerksam verfolgt hat, auf welche Voten die  Gesichtsausdrücke der anderen zustimmend (oder neutral oder sich  unterscheidend) reagieren, ist man orientiert und kann an dem  Punkt weiterarbeiten, wo jedenfalls ein erheblicher Teil der Gruppe  ist. Das ist zumindest besser, als den Blindflug fortzusetzen. In  Lernwirksamkeit in einem Satz


9 Lernwirksamkeit in einem Satz vielen Fällen erweist sich der neu gefundene Ausgangspunkt als  sehr ertragreich. ii) einen auftrag erteilen.  Wann immer man den Lernenden einzeln  oder in Gruppen einen Auftrag erteilt, und sei er noch zu kurz  und kompakt, gibt es drei Stellen, an denen man die Lernenden  unmittelbar wahrnehmen kann bezüglich der Frage, wo sie in der  Sache stehen: A) Entgegennahme des Auftrags, B) Auftragsbearbei- tungsprozess und C) Auftragsergebnis. a)  Idealerweise erteilt man einen Arbeitsauftrag (auch, und gerade,  wenn man ihn aus dem Stand heraus konstruiert, weil man gerne  genauer wissen möchte, wo die Lernenden stehen) klar und kurz.  Enden kann dies sinnvoll mit: »Können Sie damit arbeiten?« Das  was jetzt kommt, ist bereits eine erste, wichtige Gelegenheit, wahr- zunehmen, wo die Lernenden stehen. Können Sie mehrheitlich  sofort starten? Was für Rückfragen kommen? Es kann nun sein,  dass man sich den Arbeitsauftrag aus dem Stand sparen kann, weil  schon die ersten Reaktionen zeigen, dass die Lernenden ganz wo- anders stehen, als erwartet. Auch gut – die Wahrnehmungstechnik  hat ihren Dienst getan. Wenn die einen noch Fragen haben, die  anderen handlungsbereit sind, hilft die »Absprungtechnik«: Wer  kann, legt los. Mit den anderen klärt man den Auftrag weiter. Sind  es wenige, so kann man mit diesen den Raum verlassen, um die  anderen nicht zu stören – oder umgekehrt. So kann man mit bei  der Auftragsentgegennahme sich zeigender Heterogenität unmittel- bar hilfreich umgehen. B)  Während die Lernenden den Auftrag bearbeiten kann man,  wenn das nicht stört, zirkulieren und schauen, was wie gemacht  wird. »Darf ich ein bisschen zuschauen?« bzw. »Darf ich einen  Moment mithören?« öffnet Türen und klärt die Rollen: Die Lehr- person signalisiert, nicht mitwirken zu wollen, aber bittet, wahr- nehmen zu dürfen. C)  Nun kann man die Ergebnisse (bzw. andere Elemente aus der  Beschäftigung mit dem Auftrag) im Plenum gemeinsam bedenken.  Das ist nur darum oft langweilig, weil es unnötig ähnlich gemacht  wird (und oft zu lange dauert). Kreativität hilft: Nicht immer ist  es nötig oder sinnvoll, die Ergebnisse ins Plenum zu holen – es  gibt auch anderes als das Ergebnis: »Welche methodischen Fragen  sind aufgetaucht?« kann man als Leitfrage für den anschliessenden  Plenumsteil verwenden. Oder: »Welche Theorien haben Sie heran- gezogen?« Oder eine ganz andere Frage – je spezifischer, umso  besser; idealerweise die Frage, die einen als Lehrperson am meisten  interessiert, um zu wissen, wo die Lernenden stehen. Die leichte  Irritation, die entsteht, weil man gar nie erfährt, zu welchem Er- gebnis die anderen gekommen sind, kann sogar interessant sein. In  Grossgruppen, manchmal auch in normalgrossen Gruppen, kann  es auch reichen, einem Teil der Gruppen bzw. Einzelpersonen im  Plenum Raum zu geben. Wie auch immer und was auch immer im  Plenum sichtbar wird: Daran sieht kann man nun aussagekräftig  und in der Regel repräsentativ, wo die Lernenden stehen. Interessant ist aus didaktischer Perspektive: Aktivitäten von Lernenden  wurden bisher insbesondere darum für wichtig gehalten, weil man  ohne Handeln ja keine Kompetenzen erwerben kann. Hier nun  gibt es eine gänzlich anders geartete, zusätzliche Motivation für  Arbeitsaufträge: die Gelegenheit, sich als lehrende Person über den  Stand des Lernens zu orientieren – während zugleich  natürlich auch die Lernenden sehen, wo sie stehen.  Um mit Hattie zu sprechen: »Lernen sichtbar machen«. iii) intuition.  Je mehr Erfahrung man hat, desto zuverlässiger  ist die Intuition. Als lehrende Person hat man allerdings auch  schon ganz am Anfang der Karriere oft ein Gefühl dafür, wo die  Lernenden in ihrem Prozess stehen bzw. worauf sich ihre Auf- merksamkeit vermutlich fokussiert. Sind sie noch bei mir? Sind  sie woanders? Sind sie (über-)angestrengt? Erlahmt die Kraft? Das  Interesse? Ist ein Konflikt im Raum? Genau genommen hat man  immer ein Gefühl zur Situation. Sich dieses bewusst zu machen,  ist wertvoll. Man muss nicht notwendigerweise denken, dass es die  Realität zuverlässig wiedergibt. Das intuitive Gefühl für die Situation  beeinflusst einen sowieso im Handeln. Also lohnt es sich auf jeden  Fall, es sich bewusst zu machen. Dann kann man es nutzen.  Andernfalls wird man von ihm einfach gesteuert. Also: Wie fühlt  sich die Situation für mich an? Was für eine innere Hypothese  taucht auf darüber, wo die Studierenden gerade hindenken? Intuition ist ein Sinn wie jeder andere auch, wie der Gesichtssinn,  der Tastsinn usw.: Auch der Intuitionssinn kann sich irren, und  auch den Intuitionssinn kann man trainieren. Das können wir  tun, indem wir unseren Intuitionssinn ab und an mit Ergebnissen  von Technik I) und II) abgleichen. Davon ausgehend kann man  selbstanalytisch herausfinden, welche Indizien unsere Intuition  fehl- oder richtig geleitet haben. Fazit:  Das, was die lernwirksamen Lehrenden tun, ist als erstes:  wahrnehmen, was bei den anwesenden Lernenden aktuell passiert.  Sie haben dafür typischerweise drei Techniken zur Verfügung. Die  meisten besonders lernwirksamen Lehrenden nutzen diese drei  Techniken ausgezeichnet, ohne je darüber nachgedacht zu haben.  Beginnt man, darüber nachzudenken, so verstärkt dies den ersten  und wichtigsten Punkt von Lernwirksamkeit.   »they intervene in calculated and meaningful ways to alter the direction of learning« a) was ist das?Hattie schreibt nicht: »… dann ziehen sie daraus Schlüsse für die  nächste Durchführung des Moduls und entwickeln dieses konti- nuierlich weiter.«  Lernwirksame Lehrpersonen zeichnen sich nicht  durch Evaluationen in den verbreiteten Formen aus, sondern durch  die Fähigkeit, direkt in der Situation, in der sie wahrnehmen, was  bei den Lernenden passiert, passende didaktische Entscheidungen  zu treffen. Theoretisch lässt sich dieser Unterschied durch die beiden verschiedenen  idealtypischen Herangehensweisen »Plandidaktik« bzw. »situative«  bzw. »agile Didaktik« fassen (Arn, 201, 2): Plan-Didaktik wird  überwiegend bestimmt von didaktischen Entscheidungen, welche  die lehrende Person getroffen hat, bevor sie angefangen hat, zu  unterrichten. Die Festlegung all dieser didaktischen Entscheidungen  wird Unterrichtsplan oder in der Sprache der Studierenden an  pädagogischen Hochschulen auch »Präp« (Präparation) genannt.  Situative bzw. agile Didaktik wird wesentlich bestimmt von didak- tischen Entscheidungen, welche die lehrende Person trifft, während  dem sie unterrichtet. Das bedeutet nicht, dass es keinen Plan gibt,  sondern dass immer dann, wenn die Situation zeigt, dass etwas  anderes mehr Lernen auf das Ziel hin bringen kann als das  Geplante, dieses andere stattfindet.


10 B) wie funktioniert das?»Am besten mit einem breiten Methodenrepertoire!« wäre man  geneigt, zu antworten. Das trifft den Punkt allerdings insofern  nicht ganz, als man unter Methodenrepertoire typischerweise  eine Sammlung fix definierter Methoden versteht. Das hilft nicht  so sehr für das, was Hattie beschreibt, weil eben jede Situation  individuell ist. Es gibt keine 10 oder auch keine 100 Methoden,  von denen garantiert mindestens eine auf jede Situation passt.  Selbstverständlich, lieber mehr als weniger Methoden im Köcher  zu haben, ist ein Vorteil – vor allem dann, wenn dieses Methoden- repertoire nicht statisch, sondern dynamisch ist: Die Pointe ist die  Fähigkeit, aus dem Stand Methoden abwandeln, kombinieren, ja  neu erfinden zu können. So füllt sich zudem der Köcher immer  weiter. Es geht darum, »methodenneugierig« unterwegs zu sein,  sich als Methodenentdecker*in, als Methodendesigner*in zu verstehen.  Nicht als Selbstzweck, stets unter dem Eindruck davon, was die  Lernenden gerade brauchen, um dem Ziel näher zu kommen. Was  man also braucht, ist noch mehr als ein breites Methodenrepertoire:  ein lebendiges Methodenrepertoire – eines das wächst, sich  wandelt, sich neu ordnet usw. was hilft, sich in diese richtung zu entwickeln?• Das Wichtigste ist, sich darin zu üben. Einige Trainings-Anlei- tungen dazu, insbesondere die Fenstertechnik seien empfohlen  (Arn 201, Seiten 5–68 und 196–19). • Weiter hilft es, Parallelen zu entdecken, wie man selbst in anderen  Feldern aus dem Moment heraus zu handeln fähig ist: Falls man  selbst ein Instrument spielt – was hilft mir beim Improvisieren?  Falls man beraterisch tätig ist – was von der dortigen Fähigkeit, im  Moment zu handeln, lässt sich wie auf das Unterrichten übertragen?  Falls »entwerfen« zum eigenen Beruf gehört – wie und woher kommen  da die Ideen? Usw. • Generell kann man sagen, dass sich mit fortschreitender Persön- lichkeitsentwicklung die Fähigkeit verstärkt, mit offenen Situa- tionen umzugehen. (Binder 2016). Es ist also hilfreich, auf die  Entwicklung der eigenen Persönlichkeit zu achten: Was kann mich  als ganzer Mensch weiterbringen? • Weiter hilfreich ist eine gute Fehlerkultur – mit sich selbst und in  der Institution bzw. Abteilung. Denn wer aus dem Moment heraus  mutig Entscheidungen treffen will, muss auch mal danebenhauen  dürfen. Zwar scheitert die Didaktik, welche nicht im Moment  wahrnimmt und aus dem Moment heraus arbeitet, sondern strikt  dem vorgefassten Plan folgt, recht oft, wenn man sie danach beur- teilt, wie viel echtes Lernen (nicht Prüfungswissen) dabei geschieht.  Doch wird dieses Scheitern typischerweise dem System oder den  Lernenden angelastet. Dennoch: Sind hier die Lehrenden nicht ge- nauso verantwortlich für das (Nicht-) Resultat? Situative Didaktik  darf sich also durchaus ebenfalls Fehler leisten. Erkennt man sie im  Moment (oder auch später), so kann man sich durchaus mit den  Lernenden darüber (kurz) austauschen.  Die Lernenden nehmen einem das nicht übel. Sie schätzen es sehr,  wenn Lehrende spürbar versuchen, sie wahrzunehmen und das zu  tun, was sie weiterbringt. • Das Ziel hilft besonders, zu guter Methodik zu finden, und zwar  in zweierlei Hinsicht: Ein kompetenzorientiertes Ziel definiert die  Fähigkeit zu bestimmten Handlungen als das, was es zu erreichen  gilt. Da man handeln nicht ohne handeln lernen kann, ergibt sich  daraus wesentlich die Idee, schlicht das zu üben, was man am Ende  können soll, während Theorien, Informationen usw. eher »Zuliefer- industrie« sind und weniger einen Selbstzweck darstellen: Solche  Handlungen, die es zu lernen gilt, schlicht zu tun, oder natürlich  Teile aus diesen Handlungen, gehört unbedingt in den Methoden- köcher. • Die zweite Hinsicht, in der gute Ziele helfen, didaktische Ent- scheidungen aus dem Moment heraus zu treffen, liegt darin, dass  sie Orientierung bieten für solche Entscheidungen. Je klarer ein  Ziel ist, desto leichter kann man aus dem Stand entscheiden, ob es  die Lernenden dem Ziel besser näher bringt, wenn sie die folgende  Aufgabe in Gruppen oder alleine anpacken. Oder: wenn ich jetzt  drei Modelle direkt hintereinander kurz vorstelle oder eines gründ- licher, und wir dann erst mal dieses üben. Oder: wenn wir die  Plenumsdiskussion noch kurz weiterführen oder gleich in Tandems  weiterarbeiten; usw. Letztlich ist gerade die klare Vorstellung der  Strecke, die aktuell zwischen dem Stand der Studierenden und dem  Ziel liegt, oft eine unmittelbare Inspiration zu einer Methode. Damit sind wir beim Thema »Ziel« und somit beim dritten Punkt  des Kernsatzes von Hattie angelangt: »to attain various shared, specific, and challenging goals« a) was ist das?Jedenfalls etwas deutlich anderes als »deklamierte, schematisierte und  messbare Ziele«; etwas anderes, als Ziele, die zu Beginn bekannt zu  geben sind (obwohl die Studierenden sie auch im Modulbeschrieb  lesen können), die einem Schema (z.B. einer Untergliederung in  Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen) zu entsprechen  haben, sowie möglichst leicht, genau und schwer anfechtbar  gemessen werden können sollen (unter der Fahne »Rekurs-  sicherheit«). Inwieweit solcherlei vielleicht aus anderen (organi- sationalen) Gründen Sinn macht als im Hinblick auf das Lernen,  könnte diskutiert werden. Jedenfalls erscheint keines dieser Kriterien  hier im Kernsatz bei Hattie. Dafür drei andere: Geteilt sind Ziele,  wenn alle Beteiligten sich im Grossen und Ganzen damit identifi- zieren können; spezifisch sind Ziele, wenn sie konkret sind; heraus- fordernd sind Ziele, wenn sie sich nach einem Abenteuer anfühlen.  Dass solche Ziele eine enorme Motivationskraft entfalten, versteht sich.  Denn sie entsprechen in hohem Mass den drei wichtigsten motiva- tionalen Faktoren nach Deci und Ryan (2008): Autonomieerleben  wird gestärkt, wenn Studierende sich mit den Zielen identifizieren  können und sich auf (mit) selbst bestimmten Wegen auf dieses Ziel  hin bewegen können. Soziale Einbindung wird durch gemeinsame  Ziele intensiviert, Selbstwirksamkeit durch die Einübung konkreter  Ziele. Doch haben Ziele, die diesen drei Kriterien entsprechen,  noch eine weitere Eigenschaft: Sie sind klar und auf den Punkt  formuliert. Solche kernige Ziele haben für Lehrende, die aus dem  Moment heraus auf der Basis einer Wahrnehmung, ob Lernen bei  den Lernenden stattfindet oder nicht, die »Richtung des Lernens  ändern« (wie es Hattie sagt) wollen, aus einem ganz bestimmten  anderen Grund eine essenzielle Rolle: Sie geben Orientierung für  Richtungsänderungen, die Sinn machen. B) wie macht man das? Gelingt es, das echte, eigene Ziel als Lehrperson in einem Satz treffend  zu formulieren, so ist es oft einladend (also leicht zu teilen), maxi- mal konkret (spezifisch) und angenehm anspruchsvoll. Eine solche  Formulierung zu finden ist allerdings nicht-trivial. Einerseits haben  Lehrende oft innerlich eine unbewusste Klarheit darüber, worum  es ihnen in diesem Modul bzw. Kurs bzw. Fach gehen würde.  Andererseits gibt es keinen Algorithmus, keine fixe Prozedur dafür,  sich das bewusst zu machen und in einen kraftvollen Satz zu fassen.  Lernwirksamkeit in einem Satz


11 Aber es gibt Vorgehensweisen, die manchmal funktionieren  (Bardill 201). Ein eher kognitiv-narrativer und ein eher  emotionaler Zugang seien hier vorgestellt: Angenommen, man sucht zu einem bestimmten Modul, einem  Kurs oder ähnlich das eigene Ziel. Dann kann man zwei Ge- schichten nebeneinander stellen. Die eine Geschichte handelt von  einer Person, die in diesem Modul bzw. Kurs war und dort wirklich  das gelernt hat, was man sich wünschen würde, dass da gelernt  wird. Die zu erfindende Geschichte erzählt, wie diese Person da- nach tätig ist im Berufsfeld, für das dieses Modul bzw. dieser Kurs  Bedeutung haben will. Die zweite Geschichte handelt von einer  zweiten Person, die in demselben Berufsfeld tätig ist. Diese aller- dings hat das betreffende Modul bzw. den betreffenden Kurs nicht  besucht und auch kein vergleichbares bzw. keinen vergleichbaren.  Nun geht es darum, diese beiden Geschichten sehr konkret und  zugleich so zu erzählen, dass der matchentscheidende Unterschied  im Handeln (und/oder Denken, Fühlen etc.) deutlich hervortritt.  Erst nachher versucht man, diesen matchentscheidenden Unter- schied in einem Satz zu formulieren. Manchmal kommt dieser Satz  sogar schon in der einen der beiden Geschichte vor. Das zweite Verfahren geht davon aus, dass Menschen ihre  Berufstätigkeit nicht beliebig wählen, sondern aus Gründen eines  persönlichen, somit typischerweise leidenschaftlichen Bezugs zur  Sache, zum Thema. So haben gerade Lehrende in aller Regel einen  besonderen Bezug zu ihrem Lehrthema und/oder zum Lehren und  Lernen an sich. Sowohl Bezugspunkt als auch Art dieses Bezug sind  individuell – und enthalten in ihrem Kern das Ziel, um das es den  jeweiligen Lehrenden tatsächlich und letztlich geht. In diesem Ziel  steckt viel Kraft, die unter anderem sehr motivierend auf die Ler- nenden wirken kann. Wie findet man nun diesen Kern? Ein innere  Visualisierung kann helfen: Man stellt sich vor, eine Person, die  man mag, schaut einem zuwendungsvoll und entschlossen zugleich  in die Augen und fragt klipp und klar: »Um was geht es Dir (bei  diesem Modul/Kurs) wirklich?« Lässt etwas Zeit, hakt nochmals  nach und bleibt dran, bis man sich ebenso klipp und klar, somit  echt (unzweifelhaft authentisch) dazu geäussert hat. Das ist dann  wohl der Satz, der das Ziel auf den Punkt bringt. So individuell die so gefundenen Ziele sein mögen, so oft gibt  es Möglichkeiten, sie mit vorgegebenen Modulbeschreibungen  vereinbar zu sehen; oder Modulbeschreibungen entsprechend  weiter zu entwickeln. Ziele dieser Art sind unvergesslich, kraftvoll,  motivierend und eine ausgezeichnete Orientierung für das, was  nach Hattie der zentrale Punkt ist: Ausgehend davon, dass man  wahrnimmt, was bei den Lernenden gerade passiert, wohlüberlegte  didaktische Entscheidungen innert Sekunden treffen. Zum Schluss: der grössere Kontext Nimmt man den Satz von Hattie ernst, so ergibt sich daraus eine  Didaktik, die man situativ, flexibel oder auch adaptiv nennen kann  – oder auch kollaborativ (siehe Helix 1). Wichtig ist die Sache,  nicht das Wort. Und die Sache ist, wie man angesichts einer Daten- basis von über 50000 quantitative Studien und über 800 Metaana- lysen sehen kann, wichtig. Eine solche Didaktik ist anschlussfähig  an verschiedene Traditionen und Grössen der Pädagogik (Dewey,  Piaget, Korczak u.v.a.) und wird von neuerer, empirischer For- schung auch über Hattie hinaus gestützt (als ein Beispiel unter  vielen Kunze-Pletat 2019); aber schon Tausch und Tausch (196)  zeigten empirisch die Bedeutung einer Didaktik im echten Dialog. gretchenfrage:  Kann man »das«, also die Trias »wahrnehmen«,  »situativ entscheiden«, »auf klare Ziele hin«, lernen? Mit einem  Hintergrund von 20 Jahren eigenem Lehren-Lernen und 10 Jahren  Coaching und Weiterbildung für andere Lehrende lautet die  Antwort auf diese Frage eindeutig: Ja! Manchen liegt es von ihrem  Naturell her näher, anderen weniger, wir alle können dazulernen.  Viele Lehrpersonen sagen zudem, dass sie Situativität ohnehin  schon leben und tendenziell nach der pädagogischen Ausbildung  bzw. in der Hochschullehre unabhängig davon (weiter) entfaltet  haben. Viele sagen allerdings, dass sie das bis in die Gegenwart hinein  bisweilen mit einem schlechten Gewissen tun, weil sie andere  Normen guten Lehrens (gut planen und sich dann daran halten)  als dominant empfinden. Solche normative Irreleitung heilt Hattie  zuverlässig mit seinem Kernsatz. Zugleich entwickeln sich die  pädagogischen Ausbildungen selbst wahrnehmbar auf dem Konti- nuum von Plandidaktik und agiler Didaktik in Richtung zu mehr  Flexibilität und Offenheit für Agilität. Das gilt durchaus auch für  andere (Hoch-)Schulen. Der Punkt ist erkannt – die entsprechende  organisationale Weiterentwicklung nicht-trivial, und sicher nicht  allein Führungssache. Sondern, egal ob Führungsperson in einer  Bildungsinstitution oder Lehrperson oder Student, für alle drei  Ebenen bringt insgesamt der Ghandi zugeschriebene Ansatz die  Sache am meisten voran: »Be the change that you wish to see in  the world.«  Bodennah bei Hattie (a.a.O., 22):  »The biggest effect on student learning occur, when teachers become learners of their own teaching, and when students become their own teachers.«  Eine transparente lernende Haltung von  Führungspersonen selbst ist vermutlich der Punkt, in dem sie am  meisten Wirkung auf Lernwirksamkeit von Bildungsinstitutionen  entfalten können, auch weil sie so mit Vorbildhandeln eine ent- sprechende Kultur fördern. Literatur Arn, Christof (2. Aufl. 201): Agile Hochschuldidaktik. Beltz-Juventa,  Weinheim. Bardill, Sina (201): Psychologie wirksamer Ziele. In: Arn, Christof  (2. Aufl. 201): Agile Hochschuldidaktik. Beltz-Juventa, Weinheim.  104–109. Binder, Thomas (2016): Ich-Entwicklung für effektives Beraten (Interdiszi- plinäre Beratungsforschung 11). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Deci, Edward L.; Ryan Richard M. (2008): Self-Determination Theory. A  Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health. In Cana- dian Psychology 49, 182–185. Hattie, John (2009): Visible Learning. A Synthesis of over 800 Meta-Ana- lyses Relating to Achievement. Routledge, London. Kunze-Pletat, Dorothea (2019): Personzentrierte Erwachsenenpädago- gik. Die pädagogische Beziehung als Mittelpunkt im Lehr-Lern-Prozess.  Springer, Wiesbaden. Tausch, Reinhard; Tausch, Anne-Marie (196): Merkmalsbeziehungen  und psychologische Vorgänge in der Sprachkommunikation des Unter- richts (Zeitschrift für experimentelle Psychologie 9, 1962, Seiten 44- 508), wiederabgedruckt in: Gerner, Berthold/Hrsg.), Erziehungsstiele und  Lehrerverhalten in der neueren deutschen Forschung, Wissenschaftliche  Buchgesellschaft, Darmstadt. Lernwirksamkeit in einem Satz


12 eduScrum aus erster Hand                               Gastbeitrag: Willy Wijnands Hausaufgaben meets eduScrum Oh ja, die Hattie Studie hat in Sachen Hausaufgaben für viel Wirbel  in Lehrerkreisen gesorgt. Hausaufgaben bringen nichts, ist oft die  schnelle Interpretation der kleinen Effektstärke von 0,29. An dieser  Stelle sollte man natürlich etwas genauer hinschauen.  Es gibt Hausaufgaben und Hausaufgaben.  Bei Willy Wijnands geben sich Schüler/innen selbst Aufgaben für zu  Hause auf, wenn es notwendig ist.  Das ist der springende Punkt. Genauer die zwei springenden Punkte: 1: Aufgaben für zu Hause müssen notwendig sein, weil nicht in der  Schule umsetzbar.  2. Die Schüler/innen müssen die Hausaufgaben machen wollen, weil  sie einen Sinn für sich darin sehen können. John Hattie würde mir zustimmen:  Die Hausaufgaben, die sich Schüler/innen bei eduScrum selbst  geben, haben eine Effektstärke klar über 1. warum geben meine Schüler sich selbst hausaufgaben? Ich muss Ihnen, damit Sie es verstehen, ein bisschen mehr darüber  erzählen, wie Schüler zusammenarbeiten und was der Vorteil einer  Zusammenarbeit im Team ist und wie sich auch die Denkweise des  Lehrers ändern muss. Als ich 2011 mit eduScrum in nur einer Pilotklasse anfing, war  ich selbst überrascht, dass es funktionierte. Daher begann ich  eduScrum in all meinen Kursen einzusetzen. Erfolgreich Aber wie?  Einfach mit Scrum?  “Vielleicht sichert Scrum also Bildung?” meinen Sie?  Ich sage Ihnen, das Wichtigste ist es, eine agile Denkweise zu  schaffen. Deshalb verrate ich Ihnen ein Geheimnis, das eigentlich  jeder kennt!  „Ich gebe den Schülern Eigenverantwortung für ihren eigenen  Lernprozess, aber das Wichtigste ist Vertrauen. Die Schüler über- nehmen die Verantwortung für das, was sie tun, weil ich ihnen  die Freiheit und den Raum gebe, den sie brauchen. Der Effekt ist,  dass die Schüler mehr Engagement zeigen, produktiver sind und  bessere Ergebnisse erzielen. Sie entdecken, wer sie sind und wo ihre  Fähigkeiten liegen. Es ist eine wunderbare Erfahrung, zu sehen,  wie sie sich entwickeln!  Indem Sie den Schülern die Freiheit und den Raum geben, ihren  eigenen Unterricht und ihren eigenen Lernprozess zu leiten,  werden sie zu starken Menschen. Freiheit ist die Anerkennung von  Grenzen. Deshalb funktioniert es! Die Rolle des Lehrers  verwandelt sich in die eines Trainers und Vermittlers. Lernen ist das Schlüsselelement: Effektives und effizientes Lernen.  Lernen, besser zusammenzuarbeiten. Lernen, sich besser kennenzu- lernen. Lernen, ko-kreativ zu sein. Die Schüler arbeiten tatkräftig  und zielgerichtet zusammen. Diese Arbeitsweise erzeugt Freude,  Kraft und Verantwortungsbewusstsein, die Arbeit geht schneller  und die Ergebnisse sind besser. Die Schüler von eduScrum werden angeregt, sich zu wertvollen  Teammitgliedern zu entwickeln und eine Denkweise zu entwickeln,  die auf ständige Verbesserung abzielt. eduScrum ist ein aktiver kollaborativer Bildungsprozess. Mit eduScrum können Schüler Aufgaben in einem festgelegten  Rhythmus ausführen. Sie planen und bestimmen ihre Aktivitäten  selbst  und behalten den Überblick über ihren Fortschritt. Der  Lehrer “bestimmt” die Aufgaben, coacht, unterrichtet, moderiert  und berät. eduScrum stellt die Schulbildung auf den Kopf! Von  der lehrergesteuerten Bildung bis hin zur schülergesteuerten und  -organisierten Bildung. Der Lehrer bestimmt das WARUM und  das WAS, die Schüler bestimmen das WIE. Und es ist tatsächlich  auch möglich, dass die Schüler das WARUM, WIE und WAS  bestimmen. Ich bin überzeugt, dass die Schüler unbewusst und intrinsisch  nicht daran interessiert sind, was man tut und wie man es tut,  sie sind daran interessiert, warum man es tut. Beginnen Sie also  mit dem “Warum”, auch wenn Sie eduScrum nicht verwenden.  Liebe/r Leser/in. Ich habe das für Sie aus dem Englischen übersetzt und Willy Wijnands hat grünes Licht gegeben. Dabei verwende ich im  Text „Schüler“ für „Schülerinnen und Schüler“ und „Lehrer“ für „Lehrerinnen und Lehrer“– ich hoffe das ist ok für Sie.  Wenn Sie es aus der  Sicht der Hochschule lesen, dann lesen Sie einfach „Studentinnen und Studenten“ bzw „Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer“.  Otto Kraz


1 Hausaufgaben meets eduScrum Beginnen Sie mit dem “Warum” der Schüler, um Fragen zu stellen.  Warum sind sie in Ihrer Klasse und “müssen” Ihrem Thema folgen?  Erklären Sie ihnen den Nutzen und wofür sie den Unterrichtsstoff  anwenden können. Dann wissen und verstehen sie, warum sie auch  Dinge tun müssen, die sie nicht gerne tun. Beim “Warum” geht es  um Leidenschaft, Motivation, um Herzgefühl und um  das innere  Selbst. Es geht nicht darum, woran die Menschen glauben, es geht  darum, was sie fühlen. Mit eduScrum besitzen die Schüler ihren eigenen Lernprozess, was  dazu führt, dass eduScrum-Teams lernen, in kurzen Zyklen zu arbeiten.  Sie liefern schnell kleine Ergebnisse und teilen das, was sie bei  Reviews gelernt haben. Als Lehrer greifen Sie nur in den Lernprozess  ein, wenn das Team festsitzt oder sich in die falsche Richtung  bewegt. Zuerst lassen Sie als Lehrer die Schüler verstehen, was  sie nicht verstehen. Dann geben sie ihnen gegebenenfalls einen  „kleinen Schubs“, damit sie wieder auf Kurs kommen. Dann sehen  sie, was sie vorher nicht verstanden haben. Das heißt, sie gewinnen  neue Erkenntnisse. Und das ist „gute Lehre“ aus meiner Sicht. Der  Lehrer ist nicht mehr die Quelle des Wissens. Klar, viele Lernende  würden sich gerne zurücklehnen wie  in einem Kino.  Schüler und  Studenten müssen aber aus dieser Kinohaltung herauskommen. Die Teams werden von den Lernenden selbst gebildet. Sie wählen  sich gegenseitig aus, basierend auf den Fähigkeiten.  Das Ergebnis ist, dass die Schüler verborgene Talente entdecken  und mehr Selbstwertgefühl entwickeln. Nach der Teambildung  planen die Schüler ihre Arbeit, machen ihre eigenen Aufgaben  und jedes Team erstellt seinen eigenen Zeitplan für die Arbeit für  die kommenden Wochen. Dies gibt den Schülern einen Einblick  in den Umfang der Arbeit, die in einem bestimmten Zeitraum  geleistet werden muss. Darüber hinaus treffen sie Arbeitsvereinba- rungen, wie sie die Lernziele erreichen und dies in ihrer „Definition  of Done“ und ihrer „Definition of Fun“ festlegen wollen. Während des Stand-Ups legen sie ihre Aufgaben fest.  Auch Aufgaben, die durch Hausaufgaben erledigt werden. Ja, sie geben sich selbst hausaufgaben! Der “Kapitän” des Teams leitet den Scrum-Prozess, damit das Team  das Projekt beginnen kann. Die Teams erledigen die Arbeit und  entscheiden über ihren eigenen Prozess. Meistens gibt es ein Team- mitglied, das die Dinge besser versteht und dies im Team erklärt. Wenn die Schüler in Teams zusammenarbeiten, übernehmen sie  die Verantwortung für das, was sie tun, weil sie die Freiheit und  den Raum erhalten, den sie brauchen. Der Effekt ist, dass die  Schüler engagierter, aktiver, produktiver und intrinsischer  motiviert sind. Ihre Ergebnisse sind besser, sie verstehen den Inhalt  des Unterrichts, weil sie in Teams arbeiten und miteinander und  voneinander lernen. Sie entdecken, wer sie sind und was ihre  Fähigkeiten sind, sie wachsen persönlich und als Teamplayer.  Meine Schüler arbeiten definitiv schneller und beenden ihre Arbeit  früher. Wer mag es nicht, ein geschätztes Mitglied eines gut funktionierenden 


1 Teams zu sein, das viel mehr leisten kann, als wenn man allein  ist? eduScrum bietet eine klare Arbeitsstruktur für das Team.  Dies führt zu Klarheit und Transparenz. Gleichzeitig gibt es in  dieser Struktur viel Freiheit und Raum für Autonomie, Verant- wortung, Kreativität und eigenen Input. Es ist wie ein Sport, auf  die schnellste, beste und angenehmste Weise zu arbeiten und zu  lernen. Darüber hinaus führt die Wertschätzung des direkten  Umfelds für jeden einzelnen Beitrag und jede Eigenschaft zu einem  positiven persönlichen Wachstum. Das ist einer der Gründe,  warum eduScrum so leistungsfähig ist. Das Schwierigste für Lehrer ist, dass sie ihre eigene Denkweise  ändern müssen. Sie müssen auf die Stärke ihrer Schüler vertrauen  und an sie glauben. Und sie müssen ihre Komfortzone verlassen.  Sie schaffen eine agile Denkweise für sich selbst.  Man arbeitet nicht agil, man muss agil in seinem Kopf sein und es  wirklich fühlen und verstehen.  Andernfalls funktioniert es nicht. Bei eduScrum geht es mehr um  Verhalten als um Prozess. Stellen Sie sicher, dass Ihr erstes eduScrum- Projekt in irgendeiner Weise “fehlschlägt”. Es wäre seltsam, wenn  die Anwendung dieser neuen Arbeitsweise für Sie sofort reibungs- los ablaufen würde. Wenn Sie mit eduScrum beginnen, treten  Sie eine Reise an, die für Sie wahrscheinlich neu sein wird. Fehler  müssen gemacht werden, damit man aus ihnen lernen kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich eduScrum oder andere  agile Unterrichtskonzepte verbreiten werden. Das Bildungssystem  muss sich, wie gesagt, ändern. Es ist höchste Zeit für eine echte  Veränderung. Vertrauen Sie sich selbst und seien Sie sicher, dass Sie  sich mit jedem neuen Projekt in dieser neuen Unterrichtssituation  wohler fühlen werden. Machen Sie Ihre Fehler, vergeben Sie sich  und lernen Sie. Gleiches gilt für Ihre Schüler. Sagen Sie deshalb Ihren  Schülern, dass sie sich selbst vertrauen können und dass sie so viele  Fehler wie möglich machen dürfen, je früher, desto besser. Sie  lernen daraus und haben auf jeden Fall die Zeit, sich anzupassen.  Solange Sie und Ihre Schüler in einer vertrauensvollen Atmosphäre  als Team zusammenarbeiten, wird alles gut gehen.   eduScrum ist “simple” wie Aikido, “but not easy”. Sie können  eduScrum nicht auf halbem Weg ausführen. Jeder Teil ist aus  einem bestimmten Grund da. Wenn eine einzige eduScrum- Komponente Ihre Situation verbessert, ist es natürlich klug, diese  anzuwenden. Aber das macht Ihr Lehren noch nicht zu eduScrum.  eduScrum sorgt dafür, dass Sie immer strukturiert arbeiten und  auch wenn es Hindernisse gibt, können Sie diese beseitigen. Was  auch immer Sie tun und wie Sie es anwenden, verwenden Sie alle  Elemente. Sonst kann es ein risikoreiches Spiel werden. Wenn  Sie Teile von eduScrum verwenden möchten, weil dies nützlich  erscheint, können Sie dies gerne tun. Doch Sie profitieren einfach  nicht von allen Vorteilen, die erzielt werden können. eduScrum  arbeitet als Ganzes und liefert mehr als die Summe der Teile.  Es ist  an der Zeit, Lehrer und ihre Schüler zu befähigen, mit einer agilen  Denkweise klein anzufangen, sich vorwärts zu bewegen und es zu  wagen, zusammen zu scheitern. Es ist an der Zeit, junge Menschen  sich entwickeln zu lassen, die gut zusammenarbeiten, gut  kommunizieren, kreativ sind und zu kritischen Denkern für  besseres Lernen in der Zukunft werden. Die Schülerinnen und Schüler berichten, dass sich die positiven  Aspekte von eduScrum im Laufe der Zeit gegenseitig verstärken  und dass sie sich mit dieser Art des Lernens im Laufe der Jahre  immer wohler fühlen. welche veränderungen sehe ich durch meine arbeit?Ich sehe die Entwicklung von sich selbst steuernden Lernenden.  Und die Ergebnisse sind erstaunlich:  Klassen, die mit eduScrum arbeiten, sind Wochen vorher fertig  und ihre Ergebnisse sind im Durchschnitt mindestens gleich, aber  meistens bis zu 10% höher. Und am wichtigsten ist, dass die Schüler  eine starke und positive persönliche Entwicklung durchlaufen. Sie  lernen ihre eigenen Qualitäten und Mängel kennen und lernen,  wie sie mit ihren eigenen Ressourcen umgehen können.  Das Ergebnis ist, dass die Schüler versteckte Talente entdecken und  mehr Selbstwertgefühl entwickeln. Sie können ihre Energie sehen  und fühlen. Sie sehen die Begeisterung. Und am allermeisten  haben sie SPASS!  Schülerteams sind fokussiert, fleißig und motiviert. Fangen Sie also an, darauf zu vertrauen, dass Ihre Schüler an die  Stärke des Schülerteams glauben, unterstützen Sie Ihre Schüler  dabei und haben Sie den Mut, sich selbst zu ändern.  Sie tun es, indem Sie zu einer agilen Denkweise wechseln.  Beginnen Sie einfach damit, es zu tun Scheitern Sie früh, scheitern  Sie schnell, scheitern Sie oft - lernen Sie daraus und passen Sie sich  gemeinsam mit den Lernenden an. Mehr zu eduScrum unter https://eduscrum.nl/de/ Hausaufgaben meets eduScrum


15 Hausaufgaben meets eduScrum


16 eduScrum   agilität in der Bildung und die idee des „Sein lassens“                         Kristina Fritsch  eduScrum eduScrum - eine Königsdisziplin, wenn es um agiles Lernen in einem  nichtagilen Umfeld geht - setzt auf ein klares Regelwerk. eduScrum  kann man nicht einfach so mal schnell umsetzen - soweit die allgemeine  Erfahrung. Denn die Umsetzung ist zeitaufwändig ... erst wenn man  es verinnerlicht hat, dann entspannt diese Methode. Soviel habe ich  inzwischen als Nicht-eduScrumler von Lehrer/innen erfahren, die sich  einfach mal so daran ausprobiert haben. Kristina Fritsch ist eine von  Willy Wijnands zertifizierte eduScrum Trainerin. Lassen wir sie doch  einmal berichten, welche Erfahrungen, Tipps und Geschichten sie zu  dem Fortbildungsthema an Schulen und Hochschulen beisteuern kann.  In eduScrum steckt jede Menge Hattie. Meine Behauptung: Wäre  eduScrum ein eigenständiger Faktor in der Hattie-Studie, wäre die  Effektstärke über 2. Immerhin stecken in eduScrum einige der TopTen  direkt im Programm. Kristina, erzähl einmal. „Man kann einen Menschen nichts lehren. Man kann ihm nur  helfen, es in sich selbst zu entdecken.“ (Galileo Galilei) agile Theorie mit lebendigkeit füllenSobald Begrifflichkeiten wie „Scrum“ und „agil“ die Bühne der  Bildungswelt betreten, kann es sehr schnell abstrakt und theoretisch  werden. Natürlich haben bildungstheoretische Diskurse ihre  Berechtigung, unterstützen jedoch Lernende und Lehrende in der  gemeinsamen Ausgestaltung der konkreten Unterrichtssituation nur  mittelbar. Denn die Entwicklung eines eigenen „agilen Mindsets“  und die Realisierung der Werte und Prinzipien hinter eduScrum  lassen sich schwer abgekoppelt von praktischen Erfahrungen,  Lehr-Lern-Situationen zu begreifen und auszubilden.  Aus diesem Grunde möchte ich nachfolgend Agilität vor dem  Hintergrund unserer Erfahrungen mit eduScrum pragmatisch  erklären. Hinzu kommt eine Einladung, sich beim Lesen mit dem  mehrdeutigen Gedanken „Sein lassen“ und seiner Verbindung zum  agilen Lernen zu befassen. Fünf pragmatische merkmale des agilen lernens Was ist eigentlich dieses agile Lernen und was ist eduScrum?  eduScrum ist eine aktive Unterrichtsform, bei welcher Lernenden- teams innerhalb eines festen Rhythmus Aufgaben bearbeiten.  Dabei planen und bestimmen sie ihre Aufgabenschritte selbst.  Lehrende haben dabei die Lernziele im Blick und legen diese ge- mäß eines zugrunde liegenden Curriculums fest.  Den Lernenden stehen sie als Coach zur Seite. Diese kleine Definition führt zum ersten pragmatischen Merkmal  des agilen Lernens mit eduScrum: #1 es werden lernmöglichkeiten im Team geschaffenWahrscheinlich ist Euch das 4-K-Modell, das die vier Kernkompe- tenzen des 21. Jahrhunderts beschreibt, vertraut. Zu ihnen zählen:  Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration.  Während Kreativität und kritisches Denken sich durchaus allein  üben lassen, sind Kommunikation und Kollaboration nur in der  Gruppe erfahrbar. Ein wichtiger Grund, um in Teams zu lernen.  Zusätzlich ist es immer wieder spannend zu beobachten, was an  Potenzialentfaltung, Selbstorganisation und Selbstverantwortung  bei Lernenden freigesetzt werden kann, wenn sie sich gemeinsam  in einem Team auf den Weg begeben, Lernziele zu erreichen.  #2 Kraft der iterationenDieser angesprochene Weg zu den Lernzielen hat sich in der agilen  Vorgehensweise besonders erfolgreich erwiesen, wenn er sich  rhythmisch einteilt in die Phasen: - des Planens,  - des Erarbeitens,  - der Reflexion hinsichtlich der Arbeitsergebnisse (Review),  - der Reflexion des gemeinsamen Lernprozesses (Retrospektive)  - und der daraus entstehenden Neugestaltung der nächsten Arbeits- phase.  Und dies iterativ / wiederholend. Wer an dieser Stelle eine Ver- bindung zum PDCA-Zyklus knüpft, hat eine passende Schlussfol- gerung gezogen. „Die Kraft der Iterationen“ lässt Lernen für alle  Beteiligten zu einem gestaltbaren Weg werden.  An dessen Reflexionspunkten entsteht oftmals ein hohes Maß  an Lernmotivation. Lernende möchten Bewährtes weitertreiben  und mit Ideen zur Verbesserung einen Neubeginn für die nächste  Lernschleife wagen.  


1 eduScrum #3 inkrementelle lernproduktorientierung   Unterstützt wird die Energie der iterativen Vorgehensweise durch  die in der Lehrkunst immer wieder gelebte Möglichkeit, Lernpro- dukte in erreichbare Teilprodukte herunterzubrechen. Statt einer  10-seitigen Projektarbeit als direktes Ergebnis einer Aufgaben- stellung, steht das Erfüllen von Teilaufgaben, das Aufbrechen in  Arbeitsschritte (z.Bsp. erst Themenfindung, dann ein Vortrag, ein  Exposé usw.) bei dem dritten Merkmal agilen Lernens „inkremen- telle Lernproduktorientierung“ im Vordergrund. Die Hauptidee: es  wird eine gemeinsame, sichtbare Kommunikationsgrundlage, ein  erstes Lernprodukt geschaffen, welches sich nach und nach in jeder  neuen Lernphase weiterentwickeln lässt.  Wie groß, klein und auf welche Art und Weise inkrementelle Teil- ergebnisse erreicht werden können, ist abhängig von  Lernendenteam, Unterrichtsfach und der Aufgabenstellung. eduSc- rum ist ein methodisches Rahmenwerk.  Didaktische Fragestellungen liegen zunächst bei den Lehrenden.  Dabei gilt es, die Schülerinnen und Schüler weder zu unter-  noch zu überfordern. Beide Punkte hängen nicht nur mit dem  Arbeitsaufwand zusammen. Dieser wird bei eduScrum von den  Lernenden selbst geschätzt und demzufolge auch mit gesteuert.  Eine Überforderung oder Unterforderung steht ebenfalls in engem  Zusammenhang mit der empfundenen Sinnhaftigkeit der ange- strebten Lernziele. # gemeinsame vision und planen auf Sichtweite„Du lernst für Dich und nicht für die Schule“. – Das ist für viele  Schülerinnen und Schüler ein wenig überzeugendes Argument,  wenn sie in der 6. Klasse Vokabeln nicht mit dem Ziel lernen,  übermorgen nach England auszuwandern. Es wird auch schwierig,  wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass sie das Arbeitsblatt mit  0 classroom language phrases im Leben weiterbringt.   Das „Warum“ und die Sinnhaftigkeit hinter einzelnen, zu klein  zugeschnittenen Aufgabenstellungen kann leicht verwässern und  die Lernmotivation senken. Das bedeutet nicht, dass die Aufgabe  Vokabellernen an sich in Frage zu stellen ist. Sie muss Teil einer  gemeinsamen gefassten Lernvision sein. Wenn alle Lernenden das  Ziel haben die englische Sprache bestmöglich zu erlernen und  dafür einsehen, dass die Chance im Klassenraum überwiegend 


18 Englisch zu sprechen eine hervorragende Lernmöglichkeit ist,  erscheinen die 0 classroom language phrases vielen Schülerinnen  und Schülern lernenswerter. Immer wieder sind Schülerinnen und Schüler unter dem Abkürzel  „SuS“ nur Teil einer didaktischen Richt-, Grob- und Feinplanung,  obwohl laut Erkenntnissen der Hirnforschung nur Lernende selbst  ihren Lernprozess aktiv gestalten können. All die Pläne sind natür- lich für die Vorbereitung und Reflektion der eigenen Lehrtätigkeit  wertvoll. Dass diese Pläne auch aufgehen, ist beim agilen Lernen  allerdings weniger wichtig. Lernende sind nicht mehr Teil und Objekt  eines Plans. Sie denken und führen die Planungsarbeit in ihren  Lerngruppen selbstständig weiter. Als Urheber ihres Planes für die  nächsten zwei, drei Lernabschnitte sind Lernende zumeist stark  daran interessiert, dass das, was sie geplant, geschätzt, miteinander  verabredet haben, auch umgesetzt, reflektiert und verbessert wird.          #5 inspect-adapt-Transparency & ver-/Zutrauen„Umgesetzt, reflektiert, verbessert“ und das sichtbar für alle Betei- ligten in einem Freiraum, der Motivation fördert und Unterstüt- zung bereithält. Dies umschreibt kurz das fünfte Merkmal agilen  Lernens: das Lebendigwerden von Inspektion, Adaption und  Transparenz im Rahmen einer vertrauensvollen und zutrauenden  Zusammenarbeit. Auf diesen Rahmen werde ich nachfolgend unter  dem Aspekt „Einfach mal sein lassen“ näher eingehen. „einfach mal Sein lassen“Seid ihr schon einmal auf den Vorschlag gestoßen, den Fokus der  eigenen Arbeit zu verbessern, indem man statt To-Do-Listen  Let-it-be Listen erstellt und diesen folgt? Für die Gestaltung agiler  Lehr-Lern-Situationen besteht nicht nur die Herausforderung,  alternative Handlungsweisen kennenzulernen und zu erproben.  Eng damit verbunden ist auch die Frage, was man „sein lassen“  kann. Vielleicht wird es Euch freuen, dass das „Thema Hausaufgaben“,  wie Willy Wijnands, im vorigen Beitrag in dieser Helix-Ausgabe  beschreibt, auf die Let-it-be-Liste gehört. Die Vorgabe von  Arbeitsschritten für das Lernendenteam kann gegebenenfalls für  den Abgleich der eigenen Erwartungshaltung hilfreich sein. „Wie“  Lernende ihre Lernziele erreichen, bestimmen sie selbst.  Eine Planung für die Lernenden, in welchen Schritten sie vorgehen  sollen, fällt in der Regel auch weg. Außer: es gibt ein Lernziel,  welches beschreibt, dass Lernende eine neue Vorgehensweise  einüben sollen.   Die Überlegung, was die Lernenden schaffen und was nicht, liegt  in der Erarbeitungsphase auch nicht mehr bei den Lehrenden. Das  Team bestimmt, was es in einer vorgegebenen Zeit schaffen kann  und will. Es benötigt allerdings Erfahrung und ein Gefühl für die  Lernenden, um ein agiles Lernprojekt so zu gestalten, dass es die  Lernenden gleichermaßen fördert und fordert.  Von einem weiteren Standpunkt aus betrachtet gilt es auch, die  Lernenden und den sich entwickelnden Lernprozess in Vertrauen  und Zutrauen „sein zu lassen“. D.h. ihn so anzunehmen, wie er  sich ergibt. In der Lern- und Erarbeitungsphase zahlt es sich erfah- rungsgemäß aus, zwei- oder dreimal mehr durchzuatmen, bevor  ein Eingreifen in die Lernsituation erforderlich wird. Der Zeit- punkt, an dem Zwischenergebnisse präsentiert und der Weg dahin  reflektiert wird, ist ja stets in Sichtweite. Und wenn eine  Arbeitsphase hinsichtlich der vom Team vereinbarten und  geschätzten Ziele scheitert, hat dies einen wichtigen Lerneffekt.  Mit der Einplanung entsprechender Pufferzeit mit zwei bis drei  mehr Iterationen ist dies auch zeitlich unproblematisch. Zwar sind Lernziele klar zu formulieren, aber auch Aufgabenstel- lungen, die nicht sofort das Verständnis der Lernenden treffen,  können so sein, wie sie sind. Denn bei eduScrum gibt es im Vor- feld genug Raum, das Verständnis der Aufgabenstellung zur  Erreichung der Lernziele zu klären und in der Sprache des je- weiligen Teams zu formulieren. Das heißt, Lehrpersonen sollten  selbstverständlich zielgruppengerecht formulieren.  Wenn dies allerdings nicht gelingt, IST das so und führt zu einem  MEHR an Kommunikation, bis Lehrende und Lernende ein ge- meinsames Verständnis gefunden haben - bevor sie in den Lösungs-  und Erarbeitungsprozess gehen. Ein Umstand, der auch Lehrende  zu Lernenden werden lässt.  Denn solche Klärungsprozesse verfeinern wiederum die eigene  Lehrkunst, Aufgaben für agile Lernprojekte zu formulieren. Unbändige Neugier, Denken aus Lernendensicht als Basis Das beschriebene „Sein Lassen“ in vielfältiger Form lädt ein,  das eigene Lehren zu überdenken und sich als Teammitglied der  Lernenden-Teams zu begreifen. Lehrende geben das „Was“ in den  Lernprozess. Sie denken darüber nach, welches „Wie“ aus Sicht  der Lernenden sinnvoll wäre, sind aber offen, bereit und vor allen  Dingen neugierig darauf, welche Wege ebenfalls zu den Lernzielen  führen. Es geht nicht mehr darum, dass eigene Lehrpläne gelingen.  Es geht darum, dass Lehrende die Lernenden dabei unterstützen,  die von ihnen verdeutlichten Lernziele auf individuellen Lernpfaden  im Lernerteam zu erreichen.  eduScrum


19 eduScrum


20 Es gibt Begegnungen, die einem so richtig guttun. Nach einem an- regenden Austausch fühlst du dich leicht und energiegeladen. Allen  Menschen, insbesondere Lehrkräften, wünsche ich, dass sie solche  Begegnungen oft erleben. Der Alltag in der Schule kann herausfor- dernd und anstrengend sein. Auch wenn die Dinge eigentlich rund  laufen, gibt es immer wieder auch grössere Hürden. Begegnungen  können Entlastung bringen. Meine Begegnung mit Luuise ist so  eine. Ich kenne sie seit bald zehn Jahren und nach einem Aus- tausch mit ihr fühle mich leichter, stärker und voller Energie. Sie  inspiriert mich, sie unterstützt mich, sie macht meine Arbeit im  Klassenzimmer befriedigender. Sie bringt Klarheit und Bewegung  in Lernräume.  die zwei -uu- in luuiseIhr Name eckt ein bisschen an. Die zwei «uu» sind extravagant;  vielleicht machen sie neugierig. Ich stelle sie dir vor: Luuise ist ein  standardisiertes und zugleich hochgradig individualisiertes Verfahren  zur Unterrichtsentwicklung. Sie unterstützt Lehrkräfte, ihren  Unterricht zu optimieren oder Lernprozesse und Lernresultate  möglichst nachhaltig zu stabilisieren. Es ist ihr ein Anliegen, dass  Lehrkräfte mit frischem Blick auf ihren Unterricht schauen und in  den Fokus nehmen, was sie Gutes, Gelingendes und Gewünschtes  erkennen können. Luuise möchte diese drei «G’s» stärken und  fördern. Eigentlich ist Luuise eine Spielart der formativen Selbste- valuation. Im Kleid eines fünfschrittigen Entwicklungsverfahrens  wird sie gemeinsam mit Lehrkräften aktiv, die das Unterrichten,  das Erforschen des Unterrichtens und das Nutzen der Ergebnisse  in den eigenen Händen halten wollen. Ihr voller Name zeigt, dass  ihr die Lehrkräfte wichtig sind: «Lehrpersonen unterrichten und  untersuchen integriert, sichtbar und effektiv».  luuise tut gut«Wir haben doch mit dem Unterricht schon alle Hände und Köpfe  voll zu tun! Wie sollen wir es denn schaffen, den Unterricht auch  noch zu erforschen oder zu evaluieren?» sagen Lehrkräfte manch- mal. Luuise meint es gut mit ihnen. Sie möchte direkt helfen und  nicht etwa weitere Aufgaben aufbürden. Luuise schenkt Lehrkräften  sozusagen eine besondere Brille, um auf den eigenen Unterricht  zu schauen: Mit dem einen Auge schauen Lehrkräfte durch das  Brillenglass «Unterrichten» und versuchen, ihr Lehrhandeln noch  stärker als bisher auf die Bedarfe der Schülerinnen und Schüler  abzustimmen – gemäss ihrer nach s.m.a.r.t-Regel festgelegten Ziele.  Luuise leitet Lehrkräfte an, neue Wege zu erproben, mit denen sie  lohnende Ziele erreichen können. Mit dem anderen Auge schauen  sie durch das Brillenglas «Untersuchen» und formulieren ihre  Fragestellungen gemäss dem «m» der s.m.a.r.t.en Ziele .  Der synchrone zweifache Blick auf das Unterrichtsgeschehen  schafft eine plastische, dreidimensionale Realität, in der Lernende  und Lehrende gemeinsam vorankommen.  Die Verschränkung von  Unterrichten und Untersuchen ist ein Alleinstellungsmerkmal von  Luuise und ein «Powerhouse» für Entwicklungen im Klassenzimmer.    Luuise ist eine Gefährtin auf dem Entwicklungsweg. Nebst dem  Setzen von Zielen orientiert sie bei der Gestaltung von konkreten  Interventionen, Unterrichtsmethoden, Lehr-/Lernsettings. Sie  schlägt vor, dass sich Lehrkraft und die Klasse immer mal wieder  vergewissern, wie sie unterwegs sind. Dafür schaffen sich Lehr- kraft und Klasse gleich selbst die nötige Information in Form von  Darf ich vorstellen: Luuise, die mit den zwei -uu-       Gastbeitrag: Kathrin Pirani Luuise Lehrpersonen unterrichten und untersuchen integriert spezifisch und  effektiv. Luuise. Ja Luuise und Hattie, die hängen eng zusammen. Prof. Dr. Wolfgang  Beywl hat zusammen mit Klaus Zierer Hattie ins Deutsche übersetzt. Und er hat zusammen mit seinem Team Luuise als effektive Methode  der Selbstevaluation im laufenden Unterricht entwickelt. Formative  Evaluation. Feedback. Und alles direkt und unkompliziert. Und  erfolgreich dort, wo Luuise angekommen ist.  Wer könnte besser etwas darüber erzählen als jemand aus dem  Schweizer Luuise-Team von der FHNW in Brugg. -Wie sie hunderten Lehrkräften gezeigt hat, dass der eigene Unterricht wirkt - 


21 Luuise Daten, die das gewünschte Lernhandeln oder die angestrebten  Lernresultate dokumentieren und sichtbar machen.  Mit Visualisierungsmethoden, die Lust auf Lernen machen, gelingt  es, die angestrebten Ziele zu erreichen.  luuise bietet lehrkräften orientierung. Das Angebot an Lehrkräfte ist eine vielfach bewährte Begleitung  bei individuellen Entwicklungsvorhaben in Form eines optimierten  und standardisierten fünfschrittigen Planungsverfahrens:   Die Lehrkraft ...  1. klärt die Ausgangslage, formuliert dazu mögliche Annahmen  und definiert für eine begrenzte Unterrichtssequenz eine „Knack- nuss“ (meist etwas wiederkehrend Limitierendes);  2. formuliert s.m.a.r.t.-Ziele, welche sich auf die angestrebte Verän- derung beziehen (Haltung/Handeln der Lehrkraft im Unterricht,  Lernverhalten oder Lernresultate der Schülerinnen und Schüler);  . realisiert Unterrichtsinterventionen, die sich auf das Ziel beziehen;  4. entwickelt parallel zum Schritt  ein Datenerhebungs -und  Visualisierungsinstrument, das sie in den Lehr-Lernprozess  integriert und  5. wertet im Dialog mit den Schülerinnen und Schüler die  erhobenen Daten aus und leitet gemeinsam mit ihnen allfällige  weitere Entwicklungsschritte ab.  «Die „Sprengkraft“ von Luuise stammt sowohl von der peniblen  Linearität als auch von der im Dialog zirkularen Konstruktion  neuartiger Lehr-Lernwege.» sagt eine ehemalige Schulleiterin, die  erlebt hat, wie eine Gruppe Lehrkräfte mit Elan und Engagement  Luuise-Projekte mit Klassen umgesetzt hat. die ursprünge von luuise Ins Leben gerufen wurde Luuise schon Jahre bevor John Hattie in  seinen Publikationen zu «Lernen sichtbar machen» mit dem Faktor  «formative Evaluation des Unterrichts» auf die Wirkmächtigkeit  von evaluativen (Selbst-) Evaluationsverfahren hingewiesen hat. Sie  wurde in Deutschland ausgedacht und kam mit Prof. Dr. Wolf- gang Beywl in die Schweiz. An der pädagogischen Hochschule der  Fachhochschule Nordwestschweiz hat das Team von Prof. Beywl  ein Lernen-Sichtbar-Machen-Faktoren-Wiki (abrufbar unter www. lernensichtbarmachen.ch) geschaffen. Dort wird der lernwirksame  Faktor «formative Evaluation» definiert als eine «datenbasierte  Rückmeldung, welche die Lehrperson zu ihrem Unterrichten  und ihrem Einfluss auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler  erhält.» Genau darum geht es bei Luuise: Lehrkräfte können das  Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler massgeblich stärken, wenn  sie systematisch Belege schaffen, die zeigen, wie ihr Unterrichts- handeln Lernprozesse beeinflusst; wenn sie diese Erkenntnisse  nutzen, um ihren Unterricht so auszurichten, dass er noch stärker  und bestmöglich das Lernen unterstützt.  das luuise-FortbildungsangebotInteressierte Lehrpersonen erlernen die Luuise-Anwendung  in fachübergreifenden oder fachhomogenen Gruppen, i. d. R.  Abb.


22 organisiert als schulinterne Fortbildung (SchiLF) von max. zwölf  Teilnehmenden in Begleitung von zwei Luuise-Coachs.  Eingebettet in Schulen als voll-situiertes Fortbildungsformat  werden einerseits Kompetenzen zur datenbasierten Unterrichtsent- wicklung ausgebaut, andererseits auch die Zusammenarbeit von  Lehrerteams und damit Aspekte der Schulentwicklung gestärkt.  Abbildung  zeigt die Abfolge einer typischen Fortbildung:    luuise als FortbildungsangebotAn einem Präsenzanlass an der Schule planen die teilnehmenden  Lehrkräfte ihre individuellen Projekte. Kollegialer Austausch in der  Gruppe und Beratung durch zertifizierte Luuise-Coachs unterstützt  bei Bedarf. Die Lehrkräfte verschriftlichen ihre Ideen auf einer  Planungsvorlage, die sie den Luuise-Coachs zur Kommentierung  zuschicken. Ausgerüstet mit weiteren Anregungen, bereiten die  Lehrkräfte den Start des Projekts im Unterricht vor. Sie berichten  der Klasse von ihrem Vorhaben und beobachten dabei genau, wie  die Klasse auf die Projektideen reagieren. Dann geht der Unterricht  los. Die zusätzlichen Unterstützungsangebote, die Datenerhe- bungen und deren Visualisierungen werden zu wichtigen Aus- gangspunkten für Gespräche über Lernen, Lernchancen, Lernhürden  und möglichen Vorgehensweisen, diese zu überwinden.  Nach ca. sechs Wochen trifft sich die Gruppe zu einem Erfah- rungsaustausch. Gemeinsam werden die Projekte gestärkt und die  kollektive Zuversicht der Lehrkräfte, dass sie mit Luuise auf einem  guten Weg sind, vertieft sich. Nach dem Abschluss der Projekte  reflektieren die Lehrkräfte oft zusammen mit der Klasse über  das gemeinsam Erlebte, sowie über die Ergebnisse des Entwick- lungsvorhabens. An diesem Punkt kann die Lehrkraft nochmals  massgeblich darauf Einfluss nehmen, wie die Schülerinnen und  Schüler über ihr eigenes Lernen denken. Anschliessend stellen die  Lehrkräfte die Ergebnisse im Kreis von interessierten Kolleginnen  und Kollegen vor. So können erfolgreiche Vorgehensweisen auch in  weiteren Unterrichtssituationen erprobt werden.     viel “method” und ein klein wenig «magic»«Was ist denn the magic of the method?” fragt mich kürzlich  ein Schulleiter, der bass erstaunt war, dass die an seiner Schule  durchgeführten Luuise-Projekte auf «mirakulöse Art und Weise»  die Schülerinnen und Schüler derart im Lernen angespornten, dass  die stolzen Lehrpersonen bereitwillig von ihren Erfahrungen im  Jahresbericht der Schule berichten wollten.  Ich finde den Charme und das Potential von Luuise auch nach  zehnjähriger Freundschaft immer noch zauberhaft. Die positiven  Reaktionen vieler Lehrkräfte berühren mich und muten manchmal  tatsächlich etwas «magic» an.  Aber Luuise funktioniert nicht mit Zauberei.   Die Methode sei klug konzipiert, schlank angelegt und ermögliche  sichtbare Erfolge, erklärte ich dem Schulleiter. Ein wesentliches  Merkmal des Luuise-Verfahrens ist das dichte Zusammenspiel  verschiedener Faktoren, die gelingende Unterrichts- und Schulent- wicklung ausmachen:  Das Luuise-Verfahren setzt bei einem Bedarf der Lehrpersonen an.  Es verzahnt Elemente der Selbstevaluation, das Alleinstellungs- merkmal «Unterricht und Untersuchen verbinden», die auf  s.ma.r.t-Ziele aufgebaute Schrittabfolge und attraktive Visualisie- rungen der Daten. Der konsequent formativ konzipierte Ent- wicklungsansatz eröffnet Gelegenheiten für engagierte Gespräche  von Lehrkraft und Schülerinnen und Schüler über Lernen und  Unterrichten. Lehrkräfte berichten, dass damit auch ganz  wesentlich die Lehrer-Schüler-Beziehung gestärkt werde. Zudem  ist Luuise auf Gelingendes ausgerichtet und wirkt auf die  Beteiligten wertschätzend.  Auf der Ebene des Unterrichts zeigt sich, dass Luuise-Lehrkräfte  ihre Unterrichtsangebote klarer als bisher gestalten. Sie richten  diese noch präziser am aktuellen Lernstand der Schülerinnen und  Schüler aus. Die gewonnen Erkenntnisse nutzen sie, um mit und  für die Klassen Wege zu suchen, wie auch anspruchsvolle Ziele  erreicht werden können. Einsicht der Schülerinnen und Schüler  in die Relevanz von Lernzielen, ihre gestärkte Selbstwirksam- keitsüberzeugung und das durch die Visualisierungen dokumen- tierte Lernverhalten oder die Lernresultate ermöglichen in vielen  Klassenzimmern ein konzentrierteres, vertiefteres und oftmals auch  lustvolleres Lernen.  Während der Luuise-Fortbildung wird Raum geschaffen für kolle- gialen Austausch auf Augenhöhe. Fachliche, didaktische, metho- dische, pädagogische und evaluative Kompetenzen der Lehrkräfte  werden gestärkt. «Wir haben es heute total gut erlebt, wieder  einmal ganz sorgfältig und mit genügend Zeit über den eigenen  Unterricht nachzudenken. Das Nachdenken in der Gruppe haben  wir sehr fruchtbar erlebt.» schreibt eine Lehrkraft nach einem  Fortbildungstag. Lehrkräfte bauen Wissen über die Wirkweise ihres  Unterrichtshandelns auf. Dieses können sie weit über die Zeitspanne  eines einzelnen Luuise-Projekts hinaus nutzen. Mein Kollege  Marcel Hatt, Biologielehrer und Luuise-Coach verrät im Interview  mit einer Wissenschaftsjournalistin des Magazins Horizonte des  Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaft- Luuise


2 lichen Forschung, wie sich sein Handeln im Klassenzimmer dank  Luuise verändert hat: « Ich habe gemerkt, dass die Arbeit mit der  Methode mein Kommunikationsverhalten in der Schule verändert  hat. Ich spreche Probleme früher an und frage häufiger nach, was  ich tun kann, um die Schüler zu unterstützen. Das entschärft viele  potenziell mühsame Situationen, schon bevor sie richtig eingetreten  sind.» (www.horizonte-magazin.ch/2019/09/05/fakten-statt-bauch- gefuehl)  deine Begegnung mit luuiseDass sich mit den fünf Luuise-Schritten tatsächlich Unterricht  optimieren lässt, zeigen die 800 Projekte, die von Lehrkräften bis  heute – vom Kindergarten bis in die Hörsäle von Hochschulen  – durchgeführt wurden. Wer Lust auf eine Begegnung mit Luuise  hat, ist eingeladen, ein kraftvolles Instrument in die Hand zu  nehmen, dessen optimalen Einsatz erlernt und sachkundig  begleitet sein will.  Luuise wohnt an dieser Adresse: www.fhnw.ch/wbph-luuise.  Schau mal vorbei, sie freut sich auf dich. Luuise begleitet mich bei meiner Tätigkeit als Englischlehrerin an  einem Gymnasium in Zürich. Wenn ich als Luuise-Coach Weiter- bildungen für interessierte Lehrer-Teams leite, dann erlebe ich oft,  wie Luuise Entlastung und Kraft spendet.  Eben haben Luuise und ein Team von engagierten Luuise-Coachs  der pädagogischen Hochschule an der Fachhochschule Nordwest- schweiz ein zweijähriges Luuise-Coach-Ausbildungsprogramm  abgeschlossen. Diesen Prozess zu steuern war für mich eine berei- chernde Erfahrung. Ich wünschen allen 60 ausgebildeten Luuise- Coachs, die an den beruflichen Schulen in Baden-Württemberg  tätig sein werden, alles Gute auf ihrer weiteren Reise mit Luuise.          Kathrin Pirani, lic phil I: Kontakt: Kathrin.pirani@fhnw.ch Luuise an der PH FHNW (Schweiz): www.fhnw.ch/wbph-luuise weiterführende literatur zu «luuise» und ihre Themen Bandura, Albert (199). Self-efficacy: The exercise of control. New York:  W.H. Freeman and Company. Beywl, Wolfgang/Odermatt, Miranda (2016): Lehrkräfte untersuchen  und reflektieren ihren Unterricht. Fachhochschule Nordwestschweiz  Pädagogische Hochschule. Institut Weiterbildung und Beratung. Professur  Bildungsmanagement, Schul- und Personalentwicklung. Beywl, Wolfgang (2019): Vom Miteinander überzeugte Lehrpersonen stei- gern die Lernerfolge. Kollektive Wirksamkeitserwartung als Angelpunkt  der Schulentwicklung. In: Journal für Schulentwicklung, 1/19, S. 50-5. Buchmann, Florence/Pirani, Kathrin (2019): Luuise. Eine begleitete, un- terrichtsintegrierte Selbstevaluation. In: Babylonia 2019/2. https://www. fhnw.ch/de/forschung-und-dienstleistungen/paedagogik/institut-weiterbil- dung-und-beratung/integrierte-schul-und-unterrichtsentwicklung-luuise/ media/luuise_aktionsforschung_babylonia_19_2.pdf  Just, Dorothée/Pirani, Kathrin (2019). Didaktische Nüsse knacken und  Unterricht entwickeln mit Luuise. Ein Fallbeispiel aus dem Sprachunter- richt. In: Pädagogik 2019 (im Erscheinen). Beywl, Wolfgang/Gaß, Brigitte (2019): „Luuise bietet tiefen Einblick in  den eigenen Unterricht“. In: Newsletter der Landesakademie für Fortbil-dung und Personalentwicklung an Schulen 201/2018, S. 1-19 Luuise


2 LUUISE, Agilität und die drei Stufen der Kampfkunst   Otto Kraz Die japanische Philosophie, auf der ja große Teile der agilen Prin- zipien beruhen, bietet auch hier eine klare Empfehlung. Die dortige  Kampfkunst kennt drei Stufen des Lernens, die ein Schüler von den  Anfängen bis zur Meisterschaft seiner Kunst durchläuft. „Shu Ha Ri“  bezeichnet diese Entwicklung und meint: Erst lernen, dann entfernen,  dann weiterentwickeln. (Übernommen aus https://www.leanovate.de/blog/drei-stufen-des-lernens-shu-ha-ri-und-die-entwicklung-von-agilitaet/ ) Shu’, die erste Stufe des Lernens, bedeutet etwa „erhalten, gehorchen“.  Man lernt, indem man nachahmt und den gegebenen Regeln folgt.  Nur, wer die Regeln beherrscht, so die Idee, sei in der Lage, sich später  über diese hinweg zu setzen, ohne die Kunst an sich zu verlieren. Auf Luuise übertragen bedeutet dies, dass es großen Sinn macht,  will man die hohe Effektstärke der formativen Evaluation mit  dem Luuise eigenen „Lernprozesse sichtbar machen“ für seinen  Unterricht nutzen, den Ablauf eines Luuise-Projekts „streng nach  Vorschrift“ durchzuführen. Dass man nicht nur „ein wenig Luuise“  macht. Weil der Luuise-Ablauf mit der Durchführung über den  Projektplan mit s.m.a.r.t-Zielen und klarer Definition des „lös- baren“ Problems setzt auf Erfolg. Lehrpersonen tendieren schnell  dazu, eine viel zu komplexe „Knacknuss“ auf einmal „knacken“  zu wollen ... aber ohne klaren Erfolg am Ende des Projekts wird  man dieses Verfahren nicht mehr anwenden wollen. Luuise als  Gesamtprinzip ist angelegt für iteratives Entwickeln von Unterricht  ... kleine Schritte mit dem Blick für‘s Ganze, immer zusammen  mit den Lernenden - weshalb sich auch immer auf der Beziehungs- ebene viel tut ... agile Entwicklungen mit regelmäßigem Feedback  und Erfolgsmeldungen, die die Eigenmotivation der Lehrperson  automatisch stärken und in erfolgreiches agiles Fahrwasser bringen.  Weil agil zu unterrichten langfristig und nachhaltig zur Lehrerzu- friedenheit und einer beruflichen Gesundheit führt, die gleichzeitig  effektiveren Unterricht samt besseren Lehrer-Schüler-Beziehungen  ermöglicht. Was wiederum zu Gelassenheit der Lehrperson und  seiner Gesundheit beiträgt und die gefühlte Belastungen im  Lehrerdasein reduziert. Luuise&Co sind aktive Ansätze die gesund  halten.  Gute Schule benötigt nicht permanent überlastete Lehrpersonen. ‚Ha’ als zweite Stufe von Shu Ha Ri lässt sich übersetzen mit  „(auf)brechen, frei werden, abschweifen“. Hier geht es darum, die ge- gebenen Regeln und Standards zu variieren und auf die eigene Situation  anzupassen. Dazu gehört auch, die Hintergründe zu verstehen, um so  über das reine Befolgen von Regeln hinaus zu kommen. Auf Luuise angewandt heißt dies, dass man erst ein paar Mal  den klaren festgelegten Ablauf eines Luuise-Zyklus zusammen  mit einer zweiten Lehrperson im Tandem durchlaufen und  dies  auch im Kollegium präsentiert haben sollte, bevor man mit dieser  klaren positiven Erfahrung beim Anwenden der Regeln beginnt,  die Erkenntnisse aus den Luuise-Projekten, die sich ja immer auf  Einzelklassen und auf bestimmte Zeitabschnitte beziehen, sind  individuell auch auf seinen Gesamtunterricht zu übertragen. Mit  der Sicherheit im Kopf, wie Luuise-classic funktioniert, lässt sich  auch Little-Luuise im Alltag anwenden. Kleine Datenerhebungs- instrumente können wertvolle Begleiter sein - auch ohne spezielles  Projekt. Und nach einem Projekt wird man sowieso aufgrund der  verbesserten Beziehungsebene, die fast alle Lehrpersonen schildern,  mit einem ganz anderen Fokus auf „Knacknüsse“ schauen. Luuise  im Unterricht angewandt stärkt die Erkenntnis, dass Lernende sehr  viel mehr können als Wissen aufzunehmen. Dass sie sehr wohl in  der Lage sind, unter den richtigen Rahmenbedingungen konstruk- tiv zum eigenen Lernen beizutragen. Feedback zu geben und sich  selbst aktiv auf den Weg zu machen. Hinter Luuise steckt eine  Haltung, die Schüler/innen auf sehr ernsthafter Ebene begegnet,  weil man als Lehrperson immer zusammen mit Lernenden die  Knacknuss knackt. Schafft man es als Lehrperson, von seinen  Schüler/innen im Gegenzug wirklich wertgeschätzt zu werden,  dann kann man so viel mehr von ihnen abverlangen, ohne dass es  Druck oder Strenge bedarf.  ‚Ri’ als dritte und höchste Stufe schließlich bedeutet „verlassen, trennen,  abschneiden“ und meint, die gegebenen Muster hinter sich zu lassen  um, von eigenen Impulsen gesteuert, eigene Wege zu gehen. Die Erfah- rung und das Beherrschen der Regeln ist dabei die Voraussetzung, um  sich in dieser fortgeschrittensten Variante unabhängig zu machen von  der Lehre und deren Ideen frei anzuwenden. Shu-Ha-Ri Ich denke, ich hatte es schon früher erwähnt. Ich bin  selbst Luuise-Coach und halte dieses Konzept für äußerst  bemerkenswert und genau deshalb für sehr klug vom  Kultusministerium Baden-Württemberg, 60 Luuise- Coaches für die beruflichen Gymnasien ausbilden zu  lassen.  Luuise ist erlernbar, tut Lehrkräften wirklich gut,  spart Zeit und bringt das, was man als Lehrer häufig  vermisst: Erfolgsgefühle.


25 Hier kommen wir zur dritten Stufe und landen im breiten Feld  agiler Ansätze, die es seit Montessori schon lange gibt, aber an den  meisten Regelschulen noch nicht angekommen sind. Bei vielen  Schulen, die beim „Deutschen Schulpreis“ in den oberen Rängen  landen, kann man diese dritte Stufe für die ganze Schule sehen.  Dazu gehören immer Schulleitungen, die sich in Richtung agil  denkender Zukunft von Bildung aufgemacht haben - zusammen  mit ihrem Kollegium. Den Begriff agil verwenden wir vom Forum  agil lernen und lehren übrigens nicht dogmatisch und eng auf das  agile Manifest und daraus abgeleitete Formen wie etwa eduScrum  fokussiert, sondern mit dem Ansatz: Kollegiales Zusammenarbeiten  (speziell auch mit seinen Schüler/innen als Kolleg/innen der  besonderen Art) - das Ziel im Blick, aber ein Vorgehen in kleinen  Schritten mit regelmäßigem Feedback, um zu sehen, wie man  Lernprozesse kontinuierlich und immer wieder neu optimieren  kann. Motto: Ausprobieren, ansehen, optimieren. Und das in itera- tiven Schleifen - Lehrende zusammen mit den Lernenden. An der klassischen Regelschule regelt der Lehrplan und das  Denken der Lehrpersonen, den Lehrplan erfüllen zu müssen, das  Alltagsgeschehen. Das fördert leider nicht die Wertschätzung der  Lehrperson, macht Lernende passiv und notenfokussiert denkend.  Vergibt so viele Chancen, die eine Klasse mit „kollegial denkenden“  Schüler/innen besitzt. Man möge einmal intensiv die Top 10 der  Effektstärken bei der Hattie-Studie studieren, dann hat man diese  Aussage nochmals schriftlich. Luuise kann, wenn eine Schule dies wirklich will, zur positiven  Einstiegsdroge in eine ganz andere Schul- und Lebenswelt werden.  Wer würde schon gerne auf die wunderbaren dauernden positiven  Rückmeldungen zukünftiger Staatsanwältinnen, Informatiker, Ärz- tinnen, Politiker, Betriebswirtinnen, Juristen, Lehrerinnen, StartUp- Gründern, Professorinnen, Maschinenbauern, Klimaforscherinnen,  Autobauern, Bäckerinnen, LKW-Fahrern, Verkäuferinnen, Instal- lateuren, Elektrikerinnen, Altenpflegern, Erzieherinnen, Bankern  und und und verzichten, wenn er sie einmal erlebt hat. Ich sage das mit fester Überzeugung aus eigener fast 40jähriger  Erfahrung und einem Facebook-Account mit 100 ehemaligen  Schüler/innen des Faust-Gymnasium Staufen. Lehrer kann der  großartigste Job der Welt sein. Nicht für jeden, aber wenn man  sich schon entschlossen hat, diesen Beruf zu ergreifen, sollte man  ihn möglichst komfortabel machen.  Weil das einem selbst wirklich sehr gut tut. Deshalb Luuise ins Haus holen und dann fröhliches Shu Ha Ri.           Otto Kraz Shu-Ha-Ri


26 Unsicherheit und Zuversicht                                Anna Luther agiler Maschinenbau Maschinenbau ... lange ist es her. Ich war an der Technischen Universität  München eingeschrieben. 1970. Ein sehr verschultes Studium. Zu  verschult für jemand, der gerade aus der Schule aufgebrochen war, um  sich selbstständig in der Welt zu bewegen. Nun wurde ich wieder mit  einem Stundenplan, den ich nicht beeinflussen konnte, von Vorlesung  zu Vorlesung, von Übungsstunde zu Übungsstunde geschickt.  Zusammen mit 600 anderen Maschinenbaustudenten und ein paar  -innen. Hätte ich damals Mathematik nicht ausschließlich im großen  Hörsaal gehört und wäre Teamarbeit damals anders gewesen als „Einer  geht hin und schreibt mit, die anderen bekommen die Durchschrift“  - vielleicht wäre ich ja dann doch Wirschaftsingenieur geworden. :-) Dass man Mathe als Maschinenbauer tatsächlich auch anders erfahren  kann, dazu lassen wir uns einmal etwas aus Mannheim erzählen.  Unsicherheit und Zuversicht waren die zwei Begleiter, als ich mich  auf das Wagnis einließ, eine neue Lehrmethode einzuführen.  Die Erkenntnis, dass Lehren für mich mehr als das Übertragen  didaktisch aufbereiteter Informationen und Erkenntnisse bedeutet,  bildete den Antrieb dazu sich Gedanken über die Frontalvorlesung  zu machen. Mein erstes Vorlesungsprojekt fand statt in der Vorlesung  Managementmethoden, im Masterstudiengang der Fakultät  Maschinenbau. Wie können Inhalte von Projektmanagement  vermittelt werden, ohne dabei auf die reine Vermittlung von  Theorie zu setzen. Es wurden Legokästen mit programmierbaren  Bausteinen angeschafft. Die Vorlesung wurde aufgeteilt in einen  Theorie- und einen Praxispart.  ... Um die Idee zum Projekt zu generieren wird Design Thinking  durchgeführt, angeleitet durch einen externen Coach (einen ehe- maligen Kollegen aus meiner Firmentätigkeit bei SAP). Damit die  Motivation und somit auch ein großer Teil der Verantwortung für  das Projekt im Kurs verankert ist, gibt es hier maximal viele Frei- heitsgrade für Ideen. Auch die Zuordnung zu den Themen (je nach  Gruppengröße 1-2) nehmen die Studierenden selbst vor. Es geht  darum zu erfahren, wie sich Selbstorganisation und Teamerfahrung  anfühlt. Mir ist wichtig den Studierenden den Raum zu geben,  sich selbst auszuprobieren und dieses auch von Retrospektiven zu  begleiten. Die restlichen Vorlesungseinheiten teilen sich auf in einen  Theorieblock (meist vorbereitete Vorträge der Studierenden) und  einen Praxisteil in Scrum Art mit zusätzlichen Arbeitspaketen, die  im Team erarbeitet werden sollen...  Das war die erste Vorlesung, die ich selbst konzipiert hatte,  ausprobiert, erweitert und verändert. Und wie das mit agilen  Ansätzen so ist, wird dieses auch weiter verbessert. Für meine Grundlagenvorlesungen in Mathematik übernahm ich,  sehr dankbar, das Konzept eines Lückenskriptes und führte zusätz- lich im Semester verankerte Online-Tests ein, die das Grundwissen,  dass man zur Hochschulreife mitbringen sollte, überprüften. Die  Studierenden waren zufrieden. Was sie in der Vorlesung lernten,  wurde für die Klausur (meist kurz vorher) anhand von Übungsauf- gaben und Probeklausuren vorbereitet, denn 4.0 gewinnt und geht  nicht in den Notenspiegel ein (zumindest im 1. und 2. Semester an  unserer Hochschule).  Was ist der Effekt, den diese Art zu lehren, fördert?  Erklär mir ein Schema und ich wende es an. Als Quelle dient  ausschließlich das Skript und die Übungsaufgaben. Gelernt und  geübt wird meist alleine, über Mathematik selten geredet. Welche  Kompetenzen werden hier erworben? Geht das nicht auch anders?  Ist die Sättigungskurve von didaktischen Methoden, die frontal  stattfinden, erreicht? Dass ich auf eduScrum stieß, verdanke ich einem Kaffee und dem  Hinweis eines Kollegen, dass ich ausgebildete Scrummasterin bin  und es da auch etwas mit „edu“ gibt. Dass das Projekt gerade das  vierte Semester durchlaufen hat, verdanke ich meinem Team. (Prof.  Werft, P. Raab und seit kurzem mit dabei A. Hermann, zu finden  unter www.eduscrum.hs-mannheim.de) Unser Ziel besteht darin,  den Studierenden Raum zu geben, um im eigenen Tempo und  nach eigenen Bedürfnissen den Lehrstoff nachhaltig zu erarbeiten.  Zusätzlich sollen wichtige Fähigkeiten wie Teamarbeit, Kommu- nikation und Selbstorganisation, die für das spätere Berufsleben  wichtig sind, gefördert werden.  „eduScrum“ ist eine auf Bildungss- zenarien angepasste Variante von Scrum, eine agile Projekt- managementmethode, die Selbstverantwortung, Transparenz und  Team-Zusammenarbeit in den Vordergrund stellt. eduScrum ist  ein Rahmenwerk, das für beliebige Fächer genutzt werden kann,  eingeführt von Willy Wijnands in den Niederlanden. In Deutschland ist die Hochschule Mannheim die erste Hochschule,  die eduScrum im speziellen Kontext „Mathematik für Maschinen- bauer“ einsetzt.  Eine durch eduScrum organisierte Lehr-Lerneinheit zeichnet sich  dadurch aus, dass die Studierenden • in Teams von maximal fünf personen selbstorganisiert den  vorlesungsinhalt erarbeiten,  • für jedes Thema eine liste an lernzielen und zugehörigen Übungen erhält,• einen lernplan zur verfügung haben, mit dem sie und auch die dozierende jederzeit sehen können, wie der lernprozess  ... agile ansätze ... ... Klassisch unterwegs ... ... eduScrum...


2 agiler Maschinenbau voranschreitet, • keine klassische vorlesung vorfinden, sondern individuell im lernprozess unterstützt werden.Der gesamte Vorlesungsinhalt wird in Zeitabschnitte, sogenannte  Sprints, eingeteilt. Jeder Sprint besteht aus den Phasen Planning, Doing, Review und Retro. Die Methode eduScrum fördert das Erfolgs- und Kompetenzer- leben von Studierenden. Durch die kontinuierliche Aktivierung  der Studierenden während der Präsenzzeiten arbeiten die Teams  gemeinsam an den Lernzielen und an den bereitgestellten Auf- gaben. Das gegenseitige Erklären fördert regelmäßige Erfolgser- lebnisse. Durch die Reviews bekommen Studierende frühzeitig  ihren Wissenstand zu einem Thema gespiegelt. Somit findet der  größte Wissensaufbau nicht erst kurz vor der Abschlussklausur  statt, wodurch ein nachhaltiges Lernen begünstigt wird. Die  offene Arbeitsweise von eduScrum stärkt die Eigenständigkeit der  Studienanfänger*innen und es werden somit selbstregulatorische  Fähigkeiten ausgebildet. Weitere Informationen finden sich im  Tagungsband der GDM (2018)  Nun möchte ich nochmal auf die Überschrift eingehen. Wie fühlt  es sich an, eine Vorlesung in einem völlig neuen Konzept durch- zuführen. Es gab einen Plan, wie lange welche Abschnitte, gerade  bei der ersten Veranstaltung (Anleitung zur Methode, Teamzu- sammenführung, Teamspiel, etc.) dauern sollten. Das Material  war bereitgestellt. Und immer war etwas Unsicherheit dabei, ob  alles nach Plan läuft. Wird die Methode angenommen? Es gibt  keine Methode, die von allen akzeptiert wird. Und hier gebe ich zu  bedenken, dass auch die klassische Vorlesung nicht für alle  Beteiligten zur Zufriedenheit führt. Die größte Unsicherheit stand  mir aber beim Korrigieren der Klausur bevor. Wie wird mein Kurs  im Vergleich zum klassischen Unterrichtsformat abschneiden.  Gerade beim allerersten Mal war das für mich der spannendste  Moment. Nicht weil mein Ziel darin bestand, bessere Klausurnoten  zu erzielen, denn die Klausur überprüft nur eine Kategorie vom  Wissenserwerb, sondern aus Gerechtigkeitsgründen den Studie- renden gegenüber, ihnen nicht durch das Experiment geschadet zu  haben. Das Ergebnis fiel, nur knapp, aber zu Gunsten der Methode  aus.  Doch was sagten die Studierenden dazu? Eine Umfrage ergab,  dass sie die Methode für zu fordernd hielten und viele sich eine  klassische Vorlesung wünschten. Und hier kommt die Zuversicht  ins Spiel und der Glaube daran, dass die neue Methode langfristige  Effekte erzielt. Als Kompromiss wurde im zweiten Semester die  Hälfte mit eduScrum und die andere Hälfte des Stoffes klassisch  gelehrt.  Und als schließlich die Studierenden im dritten Semester ankamen,  hörte ich den Satz „ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich  das mal sage, aber eduScrum ist gut für mich“... Das Feedback der Studierenden wird kontinuierlich eingearbeitet.  Die positiven Stimmen, wie „das Lernen ist nachhaltiger“, „Team- zuammenarbeit treibt an“ bestärken uns darin, dranzubleiben. Mit  Fleiß und Übung kann in der Mathematik im Maschinenbau viel  erreicht werden. Durch eduScrum nutzen wir die Vorlesungen  intensiver und zeitlich effizienter aus, zusätzlich erwerben Studierende  noch andere Kompetenzen, auf die es im späteren Berufsleben  ankommt. Besonders freut es mich, Verbündete gefunden zu haben, die  ebenfalls Mathematik mit eduScrum testen möchten, so ergab  sich eine Kooperation mit Julia Rausenberger (FHNW, Muttenz,  Schweiz).  Ich wünsche Mut und Zuversicht! ....was die Studierenden meinen....


28 Refreshing Mathematics  – Einsatz agiler Arbeitsweisen für den Studieneinstieg              Julia Rausenberger Refreshing Mathematics Und ja, es ist offensichtlich kein Einzelfall. Auch an der FHNW in  Muttenz wird eduScrum in Mathematik zum Einsatz gebracht.  Studierende werden gleich am Anfang mit Hattie number two  konfrontiert: Selbsteinschätzung der eigenen Lernleistung. 1,33. Das  heißt an der FHNW: Mathematik Selbsttest. Und dann wird ein  Refresherkurs Mathematik angeboten, damit durch viel Online- und  Selbststudium die Grundlagen der Schulmathematik wieder ins  Gedächtnis gerufen werden. Hattie lässt grüßen. Man stelle sich vor, es  gäbe so etwas am Anfang jeder Klassenstufe. Selbsttest, Refresherkurs.  Und Schüler/innen würden dies gerne machen, weil sie den Sinn  erkennen. 1,33. Das wäre eine wunderschöne Vorstellung für einen  ehemaligen Mathelehrer.  Aber hören wir doch mehr aus Muttenz Können 8-9 Jahre mathematischer Schulbildung in knapp 0  Präsenzlektionen Mathematik-Refresher-Kurs aufgearbeitet und  gefestigt werden? Wenn ich das leisten könnte, dann müsste ich  mir entweder um meine finanzielle Zukunft keine Gedanken mehr  machen – oder aber es läge ein grosser Fehler im (Schul-)System…  Da beides nicht zutrifft, scheint es mir ein zwar ehrbares, aber  nicht zu realisierendes Unterfangen zu sein – abgesehen davon,  dass neben mathematisch inhaltlichen Lücken doch der eine oder  die andere Student*in mit dem ganz persönlichen Mathematik- Erfahrungs-Rucksack, der häufig auch mit schlechten Erfahrungen  und Abneigung gefüllt sein kann, das Studium beginnt. Dennoch möchten wir – wie viele andere natur- und inge- nieurwissenschaftlich ausgerichtete Hochschulen – unseren  Studienanfänger*innen einen möglichst guten Einstieg in den  neuen Lebensabschnitt des Studiums ermöglichen. Und genau  hierfür gibt es den «Refresher-Kurs Mathematik für Neu-Studierende» am  Campus Muttenz der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.  Die Zielgruppe sind Studierende an der Hochschule für Life Sciences  (HLS), der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik  (HABG) und vereinzelte Mechatronik Trinational Studierende der  Hochschule für Technik (HT). die ausgangslage:Die Heterogenität in allen möglichen Bereichen ist eine der  grössten Herausforderungen – gerade auch in der Studienan- fangsphase. Bei manchen Studierenden ist die Schulzeit und der  Umgang mit Mathematik bereits einige Jahre oder sogar Jahrzehnte  her, andere starten direkt nach den bestandenen Abschlussprü- fungen. Im Dreiländereck bzw. im Grossraum Basel kommen viele  Studierende aus der (Nordwest)Schweiz, einige aus dem benach- barten «grossen Kanton», sprich Baden-Württemberg, und manche  ebenfalls aus Frankreich. Klar, dass diese Studierenden-Gruppen  bisher komplett unterschiedliche Schulsysteme erfahren haben.  die rahmenbedingungen:Um einen möglichst positiven Studieneinstieg ermöglichen zu können,  erhalten die Studierenden bereits bei ihrer Studienanmeldung die  Information, dass über den Sommer ein Mathematik-Refresher- Kurs für Neu-Studierende angeboten wird. Dieser ist, um einer  wirtschaftlichen Selektion vorzubeugen, seit einigen Jahren für die  Teilnehmenden nun kostenlos – aber sicher nicht umsonst!  Erfreulicherweise nutzt ein Grossteil der Studierenden mittlerweile  das Angebot. die Ziele des refresher-Kurses:1.  Den möglicherweise grossen Respekt, bisweilen zu grossen  Respekt, vor der Mathematik ernst zu nehmen und daran auf der  persönlichen Ebene mit den Kommiliton*innen und Dozierenden  zu arbeiten. 2.  Spass und Freude am Gelingen und Verstehen zu haben – und  das mit Mathematik!! 3.  Den eigenen Lern- und Wissensstand zu hinterfragen bzw. zu  prüfen – in einer Selbsteinschätzung mittels eines Online-Tests vor  und nach dem Refresher-Kurs. Auf der Hattie-Skala hat die «gute  Selbsteinschätzung» der eigenen Leistung immerhin eine nicht zu  vernachlässigende Stärke von 1..  .  Das mathematische Vorwissen zu reaktivieren, das sich jedoch  sich über die Jahre verflüchtigt hat. Denn der Einstieg in die  mathematischen Inhalte an der Hochschule ist sehr direkt, intensiv  und das Tempo sowie die Fülle der Lerninhalte an einer Hoch- schule unterscheiden sich stark von dem an einer Schule. Dies  deckt sich mit einer meiner persönlichen Erfahrungen: nach den  ersten 2- Wochen des Mathematik-Studiums dachte ich «Und,  was machen wir jetzt noch die nächsten 4 Jahre, wenn wir in 2-  Wochen den kompletten Sek II – Inhalt repetiert und zusätzlich  noch bewiesen haben?» Es zeigte sich jedoch in der Folge, dass es  noch genügend spannende Inhalte und mathematische Beschäfti- gungsmöglichkeiten gab! 5.  An allfälligen Lücken zu arbeiten – nicht alleine, sondern ge- meinsam mit anderen Studierenden. 6.  Wirklich jede noch so scheinbar «dumme» Frage stellen zu  können. 7.  Bereits vor Studienbeginn die Luft an einer Hochschule schnup- pern zu können und zukünftige Kommiliton*innen kennenzu- lernen. Häufig sehe ich die Studierenden, die im Refresher-Kurs 


29 Refreshing Mathematics zusammengearbeitet haben, auch in späteren Veranstaltungen noch  immer in guter Teamarbeit! Das «reziproke Lehren von Lernenden»  besitzt nach Hattie eine Effektstärke von 0.5. das aktuelle Konzept des refresher-Kurses:Um in einer individuelleren Art auf die Wünsche der Repetitions- inhalte und –methoden eingehen zu können, ist das Konzept des  «Flipped Classroom» umgesetzt: Denn 8-9 Jahre Schulmathematik  können in knapp 0 Präsenzlektionen nicht ohne Hetzen, kurzem  Anreissen möglichst vieler Inhalte und damit doch nur einem va- gem Kratzen an der Oberfläche aufgearbeitet werden. Um u.a. die  unterschiedlichen Lebensumstände der Studierenden zu berück- sichtigen, wird der Kurs gedoppelt: ein Kurs speziell für Berufstätige  freitagsabends und samstags und für alle anderen ein weiterer im  Blockformat an drei aufeinanderfolgenden Wochentagen. Der  zeitliche Ablauf gliedert sich in: • anmeldung:  Studierende erhalten mit Studien-Anmeldung  die Information zum Angebot des Refresher-Kurses mit der Auffor- derung den Selbsteinstufungstest im Netz durchzuführen. Je nach  Anzahl der richtig bearbeiteten Aufgaben wird eine aktive Teilnahme  am Refresher-Kurs empfohlen. • vorBereiTung:  Ende Mai / Anfang Juni gibt es neben dem  Moodle-Zugang und einem Skript auch eine Liste mit ausgewählten  Links für das Online-Studium z.B. mit viaMINT oder OMB+.  Beide Plattformen stellen qualitativ sehr hochwertige Materialien  open source zur Verfügung. Die Studierenden werden ebenfalls  aufgefordert, das Skript VOR Kursbeginn durchgearbeitet zu haben  und bereits allfällige Fragen und Schwierigkeiten zu notieren.  Weitere Aufgaben können mit der Mathe-App TeachMatics  on- und offline bearbeitet werden. Die Lizenzen der Mathe-App  werden von der Hochschule getragen.  • prÄSenZBloCK i:  Ende Juli / Anfang August finden 2/  der Präsenzlektionen statt. Der Kurs startet mit «dem» berühmten  Sprung ins kalte Wasser – ein 0minütiger Online-Eingangstest  mit der Mathe-App TeachMatics. Die Studierenden erhalten eine  individuelle Rückmeldung zum eigenen Lernstand. Die anony- misierte prozentuale Auswertung wird direkt gemeinsam analy- siert und gibt mir als Dozentin die Möglichkeit, die inhaltlichen  Schwerpunkte für diese spezielle Teilnehmenden-Gruppe zu setzen.  Die Effektstärke liegt laut Hattie bei 1.29, wenn die Lehrperson  die Leistung einschätzen kann. Darauf folgt die eigentliche Arbeit:  neben den Fragen und der Klärung der Schwierigkeiten werden  Inhalte ggfs. nochmals anders beleuchtet – aber nicht die Theorie  bzw. das Skript repetiert. Es wird anhand der «Aufgaben für das  Plenum» viel und intensiv überlegt, verworfen, geübt und gerechnet,  von mir oder den Studierenden vorgerechnet und erklärt. Zusätz- lich werden immer wieder Aufgaben in Zweier-Gruppen gelöst, die  mir dann die Zeit geben, durch die Reihen gehen zu können und  bei den Studierenden vor Ort präsent zu sein. Mit dieser Arbeits- weise ist es möglich, viele Themen der Schulmathematik aufzugreifen  und diese vertiefend zu bearbeiten. • ZwiSChen den Zwei prÄSenZBlÖCKen:  In den  vier Sommerwochen zwischen den beiden Präsenzblöcken haben  die Studierenden die Möglichkeit und auch den Auftrag, weitere  Aufgaben des Skriptes zu bearbeiten, mit der Mathe-App weiter zu  lernen und sich bestenfalls in kleinen Lerngruppen zu organisieren.  Darüber hinaus können sie mir diejenigen Themenfelder mitteilen,  an denen sie gerade arbeiten oder mit denen sie sich nochmals  intensiver beschäftigen müssen. So kann ich Material für den zweiten  Präsenzblock, der kurz vor Semesterbeginn im Rahmen einer  «Aufgabenwerkstatt» stattfindet, zusammenstellen.  Der Mathe-Lücken-Paul wäre  im Refresherkurs in Muttenz  bestens aufgehoben.


30 • prÄSenZBloCK ii:  Dieser Präsenzblock steht in guter Heim- werkermanier unter dem Motto «Do it yourself». «Mathematik  selber machen» oder «learning by doing». Die Studierenden bear- beiten in Kleingruppen die von ihnen ausgewählten Themenfelder.  Dies geschieht meist in Form von Gruppenpuzzlen, welche der  sogenannten «Jigsaw-Methode» zuzuordnen ist. Es wird eine eigene  Aufgabe bearbeitet, die dann dem Partner*in erklärt wird. Hierbei  ist es wichtig, auch die mit der Aufgabe verbundenen Fallstricke zu  erklären. Anschliessend lässt man sich die Aufgabe der Partner*in  erklären. Bei Hattie sind «Jigsaw-Methoden» mit einer Effektstärke  von 1.2 versehen.  Der Refresher-Kurs endet dann mit einem Sprung ins nicht mehr  so kalte Wasser: dem zweiten 0minütigen Online-Ausgangstest  mit der Mathe-App TeachMatics. Auch hier wird der individuelle  Lernerfolg der Studierenden nach dem Kurs sofort sichtbar ge- macht. Die «formative Evaluation» besitzt laut Hattie eine Effekt- stärke von 0.9. Die erzielten Ergebnisse des Gesamtkurses, unter  Berücksichtigung des Eingangstests, schaue ich mir direkt mit den  Studierenden gemeinsam an.  Das entwickelte Konzept stabilisiert und bewährt sich Jahr für  Jahr aufs Neue und wird von den Studierenden gut angenommen  – mittlerweile sind beide Kurse mit durchschnittlich 60 Teilneh- menden mehr als gut besucht. Die Beurteilung des Angebots fällt  sehr positiv aus, was sich in der Studierenden-Evaluation in den  Antworten zu «Das hat mir gut gefallen» widerspiegelt:  Die Studierenden schätzen, dass durch «selbstständiges Rechnen  der Aufgaben und gemeinsames Besprechen […] das Verständnis  gefördert» wurde oder «dass die Theorie anhand von Aufgaben  gezeigt wurde, d.h. es wurde nicht die Theorie wiederholt, sondern  Aufgaben zu den Themen besprochen». Auch das «sehr angenehme  Arbeitsklima» trug dazu bei, dass «man wirklich alles fragen konnte,  was man wollte – ohne sich dabei dumm vorzukommen». und wie geht es jetzt weiter?   Einbau agiler Arbeitsweisen in der Studienanfangsphase: Das Konzept des Refresher-Kurses setzt bei der Auffrischung des  mathematischen Schulwissens auf Elemente des agilen Arbeitens:  Die Übertragung der Verantwortung für den eigenen Lernerfolg  steht im Vordergrund. Dies wird u.a. durch den hohen Anteil an  Selbststudium sichtbar und dem Vertrauen darauf, dass die Studie- renden ihr Bestes zum «Refreshen» der Mathematik geben werden.  Dadurch, dass die Studierenden die Aufgabe haben während des  Kurses regelmässig Ergebnisse in Form von Online-Tests oder auch  Aufgabenbesprechung zu präsentieren, erhalten sie kontinuierliches  Feedback zu ihrem Lernstand. Somit wird die Qualität ihrer Ergeb- nisse beständig sichtbar, was in der Regel zu mehr Anerkennung  und Motivation führt. Durch die Inspiration und den intensiven Austausch mit Anna Luther  von der Hochschule Mannheim können wir den Einsatz agiler  Arbeitsweisen in der Studieneingangsphase noch weiter intensivieren  und forschungsbasiert begleiten: Basierend auf dem eduScrum-Ma- terial der Hochschule Mannheim haben wir in Kollaboration mit  der PH FHNW sowie der Hochschule für Angewandte Psychologie  FHNW haben wir eine Lehrveranstaltungs-Konzeption nach dem  Human-Centered-Design-Ansatz erstellt. Im Herbst 2019 wird  nun eine mathematische Anfängervorlesung sowohl mit Elementen  des Rahmenwerks eduScrum als auch «klassisch» durchgeführt  und die Wirksamkeit bzw. Akzeptanz beider Lehrformate im  Vergleich untersucht. Zukünftig werden wir uns weiterhin darum  kümmern, wie Elemente agilen Arbeitens, z.B. eduScrum in  grösseren Lehrveranstaltungen etabliert werden können. Vorschläge  und Umsetzungsbeispiele agiler Methoden für die Grossgruppen- Didaktik werden bereits von Christof Arn in seinem Buch «Agile  Hochschuldidaktik» gegeben. Eine weitere Möglichkeit scheint  mir z.B. die Einbindung studentischer Tutor*innen zu sein, welche  neben der fachlichen Qualifikation ebenfalls didaktisch geschult  sein sollten. Die Konzeption sowie der Aufbau einer qualifizierten  Tutor*innen-Schulung an der HLS wird aktuell in Kollaboration  mit dem «Zentrum für Kollaboratives Lehren und Lernen  (ZeKoLL)» der Technischen Hochschule Mittelhessen erarbeitet.  Ein erstes Pilotprojekt startet im Frühling 2020.  Der Einsatz von Elementen agilen Arbeitens kann somit eine  Möglichkeit sein, der Heterogenität bezüglich des mathematischen  Vorwissens gerecht zu werden sowie unterschiedliche Lerntypen  und –tempi anzuerkennen. Neben dem (Wieder)Erwerb mathe- matischer Inhalte werden weitere Sozialkompetenzen, wie Kollabo- rations- und Kommunikationsfähigkeit geschult, die ebenfalls im  zukünftigen (Arbeits)Leben genutzt werden können. Refreshing Mathematics


1 Refreshing Mathematics


32 Das Bildungscamp in Sachsen-Anhalt                    Jessika Günther Schulentwicklungscamp Es gibt Stiftungen, die unterstützen Schule durch Fortbildungen,  Veranstaltungen, Workshops etc. Die deutsche Kinder- und Jugendstif- tung gehört dazu. Jessika Günther war als Lehrerin eine der Haupti- nitiatoren eines erstaunlichen agilen Projekts. Lade 300 Schüler/innen  zu einem dreitägigen Schulentwicklungscamp an einer Schule in  Sachsen-Anhalt ein und sage den Erwachsenen, sie sollen viel zuhören  und unterstützen, aber nicht die Leitung übernehmen.  Hören wir doch einmal, welche agilen Faktoren beim Bildungscamp im  September 19 eine wichtige Rolle gespielt haben. Jessika, wir hören. otto:  Jessika, ihr habt im September ein sehr ungewöhnliches Schul- entwicklungscamp abgehalten. Ich war als Beobachter dabei und  halte alles, was ich darüber erfahren habe, für so ungewöhnlich und  erfrischend, dass es genau hier ins Magazin passt. Kannst du unseren  Leser/innen kurz einmal die Idee erzählen? Jessi:  Alles begann im Dezember 2018 bei einer Veranstaltung der  Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) in Magdeburg.  Der Titel 25NEXT lud dazu ein, sich darüber Gedanken zu machen,  welche Fähig- und Fertigkeiten Menschen, die heute geboren  werden, in 25 Jahren überhaupt (noch) benötigen würden und wie  Schule dazu beitragen kann, diese zu vermitteln. Bunt zusammen- gewürfelt saßen die Gäste an verschiedenen Tischgruppen und  lauschten einigen Fachvorträgen, bevor die informellen Tisch- gespräche begannen. Wie es der Zufall wollte, stießen in einem  Fall mutige Schüler mit „Bildungs-Insidern“ unterschiedlichster  Professionen aufeinander. Man sprach über die üblichen Probleme:  Junge Menschen verbringen die kostbarste und kreativste Zeit ihres  Lebens in der Schule. Leider sind die räumlich-sächlichen Ausstat- tungen dort oft weder praxistauglich, einladend, lichtdurchflutet  oder gemütlich. Frontal eingerichtete, oft zu kleine Räume mit  schlechter Akustik beherbergen Klassen mit bis zu 28 Schülern.  Man stelle sich diese Situation in einem Großraumbüro in einem  beliebigen Wirtschaftsunternehmen vor. Es wäre eine Zumutung!  Bescheiden – weil von Beginn der Grundschulzeit an daran  gewöhnt –, nimmt der Schüler betonierte Schulhöfe ohne Grün  ebenso an, wie die Tatsache, seine Pausenbrote stehend im Freien  zu essen. Tischkultur Fehlanzeige; gesunde und vollwertige Mittags-  angebote ebenso. Oft reichen die 20-minütigen Mittagspausen eh  nicht aus, um in Ruhe essen zu können. Eine zeitgemäße IT- Ausstattung gibt es an den meisten unserer 900 Schulen im Land  schlichtweg nicht. Und dass Busfahrzeiten von einer Stunde und  mehr pro Richtung insbesondere in den strukturschwachen Regionen  üblich sind, weiß inzwischen jeder.  Daraus schlussfolgernd befand die Tischgruppe kurzerhand, dass  wir Entscheidungsträger a l l e r betreffenden Bereiche mit Praxis- leuten und Schülern doch einfach für mehrere Tage versammeln  müssten, und - schwuppdiwupp - wären phantastische Lösungen  auf den Weg gebracht. Die Idee des dreitägigen Schulentwick- lungscamps war geboren.  Diese Idee an sich ist nicht neu. Neu war aber, dass sich im Eifer  des Gefechts ein starkes, euphorisches und heterogen aufgestelltes  Team von Schülern und Fachleuten verschiedenster Bereichen  verbündete, um das erklärte Ziel umzusetzen. Noch am selben  Abend stand fest, dass wir unsere Landtagsabgeordneten, die  selbstverständlich teilnehmen mussten, mit einem herkömmlichen  Schulbus zu einer üblichen Zeit (6:0 Uhr) vom Landtag Magde- burg abholen würden. Anfangs noch belächelt und wenig ernst  genommen, rollte der gefüllte Schulbus neun Monate später von  Magdeburg (Landtag) nach Halberstadt. Dort fand im September  dieses Jahres an der Ganztagssekundarschule „Freiherr Spiegel“ das  erste Schulentwicklungscamp Sachsen-Anhalts mit dem Namen  #enterschool  statt. otto:  Gratulation zuerst einmal. Das hört sich für meine Ohren sehr  agil an. Könnten wir das einmal anhand unserer 6 zentralen Aussagen  für agiles Handeln durchgehen? Fangen wir mit der ersten Aussage an:  nimm daS ganZe in den BliCK, Jessi:  In der Bildung zu arbeiten ist etwas Wunderbares! Man  begleitet junge Menschen auf ihrem Weg ins Leben; nimmt an  ihrer Entwicklung teil, berät sie, steht ihnen bei, motiviert sie  und ist über viele Jahre hinweg Lernhelfer und Wissensvermittler,  Kompetenzförderer und Ratgeber. Jeder Pädagoge, der sich für den  Beruf entscheidet, geht mit diesen Idealen an die Arbeit – doch  nicht immer ist es im eng geschnürten Korsett der rechtlichen und  zeitlichen sowie räumlich-sächlichen Rahmenbedingungen möglich,  seinen Schülern alle ebengenannten Aspekte zu Teil werden zu  lassen. Viele Schulen schaffen sich durch die Implementierung unkonven- tioneller Rhythmisierungen ihres Schultages genau diese Zeitfenster,  die nötig sind, um neben dem herkömmlichen Unterrichts-MUSS  Begabtenförderung zu gewährleisten, gezielte LRS-Hilfen und  Nachhilfen in Kernfächern zu geben, potenzielle Sitzenbleiber  durch adäquate Programme wie z. B. „Reservetank“ zu stabilisieren  oder den Neigungen und Interessen der Schüler durch optionale  Otto fragt Jessi


Schulentwicklungscamp Kurse (Chor, Sprachen, Kunst, MINT, Robotic, Coden etc.)  gerecht zu werden. Das 80/10-Modell bietet meines Erachtens all  das. Von einer klassischen 90-minütigen Doppelstunde fließen  zehn Minuten in einen separaten Stundenpool. Dieser wird  genutzt, um die oben genannten Angebote zu generieren. Schaut  man sich in Deutschlands Schullandschaft um, fällt auf, dass den  80/10-Schulen insbesondere die Implementierung einer eigenver- antwortlichen Lernzeit am Herzen liegt. Es tauchen unterschied- liche Bezeichnungen auf: ELZ, ILZ, ELSE, IlSE, WUP, SOL und  so weiter. Allen ist jedoch gemein, die im Grundsatzband geforderten  Schlüsselkompetenzen zu vermitteln und die individuellen Fähig- keiten eines Schülers zu fördern, um ihn für die Anforderungen  von Studiums und Arbeitsmarkt zu befähigen.  Spitz gesagt könnte ich fragen: Was nützt es dem jungen Menschen,  Jahreszahlen auswendig aufzusagen, wenn er weder in der Lage  ist, sachlich zu argumentieren oder lösungsorientiert im Team an  einer zentralen Fragestellung zu arbeiten geschweige denn weiß,  über welche Wege er an zitierfähige und seriöse Quellen gelangt?  Wie gut oder schlecht ist es, wenn jemand seine eigenen Stärken  und Schwächen nicht einschätzen kann oder mit konstruktiver  Kritik nicht umgehen kann? In welchem schulischen Rahmen soll  der Schüler Schlüsselkompetenzen/Softskills erwerben, wenn er im  45-Minutentakt Tafelbild um Tafelbild abschreibt, die Inhalte zu  Abschlusstests auswendig lernt, diese wiedergibt und anschließend  vergisst? Diese Form des Lernens, die zu einem anderen Zeitpunkt  unserer Geschichte berechtigt und zeitgemäß war, ist heutzutage  nicht mehr nachhaltig und zielführend; in der Kosten-Nutzen- Rechnung nicht (mehr) effizient. Sie ist überholt und bereitet  junge Menschen nicht auf das vor, was die Arbeitswelt zukünftig  von ihnen verlangt. Am Schlimmsten ist, dass die vielfältigen Fähigkeiten und Kompetenzen  unserer Schüler im festen Fächerkanon oft nicht erkannt und ge- fördert werden. Welche Bildungsmöglichkeiten dürfen unsere vielen  IT-affinen Schüler erfahren, die bereits in Klassenstufe 9 eigene  Apps programmieren oder sich in Computersysteme einhacken  können? Es ist absolut lächerlich, dass sie von Lehrern, die Informatik  nebenbei unterrichten, laut Lehrplan vermittelt bekommen, wie  man mit Windows 98 eine Power-Point-Präsentation erstellt.  Gute Schulen erkennen diese Diskrepanz und räumen Schüler- Tutorials ein. Schüler unterrichten Schüler, programmieren eigene  künstliche Intelligenzen (KI) und Apps, arbeiten hochmotiviert,  besorgen sich die benötigte Hardware aus ihren eigenen Netz-  werken und nutzen selbstverständlich (!) OpenSource. In Zeiten  des akuten Lehrermangels eine nicht uninteressante Entwicklung.  Um diese Möglichkeiten umsetzen zu können, benötigen Schulen  viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Freiräume. Leider ist die  Schuladministration hier oft noch zu träge und es bedarf seitens  der Schulleitungen enormen Anstrengungen, ihre unkonventionellen  Rhythmisierungen und individuellen Angebote zu legitimieren. otto:  Und weiter sagen wir, dass es immer sinnvoll ist, Bildung für  die Zukunft mit verschiedenen Augen zu betrachten Bilde CroSS-FunKTionale TeamS   Jessi:  Ziel des Schulentwicklungscamps war es, Probleme zu  thematisieren, die Schüler – und das ist das Einzigartige –, zuvor  über eine landesweite Onlineumfrage über moodle eingeben  konnten. Schulessen, Digitalisierung, Schulhofgestaltung, Haus- aufgeben, agile Raumgestaltung, lange Busfahrzeiten etc. wurden  immer wieder genannt. Geclustert ergaben sich 1 Arbeitsgruppen,  in denen die Schüler mit Politikern, Vertretern aus Wirtschaft und  Bildungsadministration, Lehrern, Schulleitern, Sachbearbeitern  aus der Verwaltungen und IT-Spezialisten zielgerichtet arbeiteten.  Wenn das nicht cross-funktonale Teams sind. Einzelne Schulteams  zeigten sogar die Umsetzbarkeit ihrer eigenen (Lösungs-)Varianten auf  und berieten andere Teilnehmer. Nicht zuletzt stellte die finnische  Firma Opinsys (opinsys.de) ihr Modell vor; welches Schulen mit  moderner Technik und OpenSource-Software ausstattet und diese  von Technikern, die wöchentlich in die Schulen fahren (Sprech- stunde), warten lässt. Die Kosten, die sonst für Lizenzverträge aus- gegeben werden, können klug an anderer Stelle eingesetzt werden.  Zum Vergleich: In Sachsen-Anhalt betreut meist ein technikaffiner  Lehrer die gesamte schulische Technik: unentgeltlich, nebenbei,  ohne Administratorenrechte.  Du siehst, es gab nicht nur vier oder acht Augen und damit ver-


3 Schulentwicklungscamp schiedene Blickwinkel, aus denen die aktuellen „Bildungsprobleme“  betrachtet wurden. Genau diese Perspektivwechsel, die heterogene  Teams überhaupt erst ermöglichen, sind es doch, die eine Lösungs- findung zwar zunächst erschweren, das Ergebnis dann aber umso  tragfähiger und haltbarer machen. Die Visionäre unter den Teilnehmern denken, eine Lösungsfindung  sei so einfach: schwarz oder weiß. Beim Camp wurde deutlich, dass  es eben doch der Farbfächer ist, den man in seiner vollen Pracht  öffnen muss, um für mannigfache und dabei auch legitime Befind- lichkeiten, Forderungen, Gesetze, Erlasse und Wünsche e i n e n  Konsenz zu finden. Genau aus diesem Grund war die Heterogenität der  400 Campteilnehmer enorm wichtig! Schüler haben es geschafft,  Landtagsabgeordnete aller Fraktionen nach Halberstadt zu locken.  Was für ein phänomenaler Erfolg! Und das, obwohl die Rolle der  Erwachsenen klar definiert wurde: Zurückhalten .... zuhören ...  begleiten ... beraten. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an die  engagierten Erwachsenen, für das offene Ohr, das Engagement, die  fachliche Beratung und das Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten,  für die Anerkennung und das Vertrauen, welches sie den jungen  Menschen mit ihrer Haltung entgegenbringen. otto:  Weiter sprechen wir Agilen immer gerne von den kurzen Zyklen,  nach denen Prozesse immer wieder angepasst werden können und  sollen. experimenTiere miT ÜBerSChauBaren Änderungen und TeilergeBniSSen. Jessi:  Das Format unseres Schulentwicklungscamps #enterschool  war ungewöhnlich. Im Vorfeld fragten viele potenzielle Teilnehmer  und Unterstützer, was wir mit dem Camp eigentlich bezwecken  wollen und welches Ergebnis wir konkret erwarten. Bei der  Erklärung, das Camp sei ergebnisoffen geplant und wir wüssten  auch nicht genau, wohin die Reise geht, konnte man pure Skepsis  in vielen Gesichtern lesen. Und in der Tat: Es wird spannend, wie  sich die Dinge zukünftig entwickeln. Insbesondere die Teilnehmer  aus den politischen Lagern haben sich auf diese unkonventionelle  Campideen eingelassen und waren überrascht, wie fundiert, klug  und lösungsorientiert gearbeitet wurde. Es ging zu keiner Zeit  um das Anprangern aktueller Zustände, sondern um das Auf- zeigen umsetzbarer Lösungsvarianten, die flächentauglich sind.  Ein Beispiel: Schüler haben es mit Hilfe von zwei ehrenamtlich  arbeitenden IT-Spezialisten innerhalb einer Woche geschafft, das  Schul-WLAN an der Gastschule von Stand 2004 auf 2019 zu  bringen (von 16Mbit/s auf 250 Mbit/s). Die Materialkosten für  Accesspoints und Netzwerkverteiler beliefen sich gerade einmal  auf 6000 Euro. Die Netzabdeckung war 100prozentig, sodass viele  hundert Leute das Netz zeitgleich ohne Störung nutzen können.  Für die Schule bleiben überschaubare Vertragskosten in Höhe von  0,- Euro/Monat bestehen. Man stelle sich vor, dieses Modell geht  in die Fläche. Theoretisch ist es möglich, das, was das Schüler- Experten-Team dort in einer Woche geschafft hat, innerhalb von  drei Jahren auf alle Schulen in Sachsen-Anhalt zu übertragen. Man  denke nur an die Einsparung an Lizenzvertragskosten  (vgl. finnisches Modell), wenn ausschließlich OpenSource genutzt  werden würde. Damit wäre zusätzlich gewährleistet, dass Schüler auch  zu Hause mit den kostenlosen Programmen arbeiten könnten.  Allein an diesem Beispiel wird deutlich, dass 0.000 Euro aus dem  Digitalpakt pro Schule zwar ein Tropfen auf den heißen Stein sind,  aber durchaus klug und effizient eingesetzt werden können. In  unserem Beispiel kann die Ganztagssekundarschule „Freiherr Spiegel“  in Halberstadt das Geschenk einfach übernehmen. Das freut uns,  die Schüler, die Lehrer, die Schulleitung und die Eltern.  Neben der WLAN-Ausstattung und einem neuen RaspberryPi-Kabinett  (150 Euro/Arbeitsplatz) verbleiben weitere Realität gewordene  Wünsche an der Schule:  Coole Sitzgelegenheiten aus Beton für  den Schulhof, variable Tische, die uns die Firma VS-Möbel  gesponsert hatte samt einem Wanddurchbruch mit Sitzfenster.  Denn während des Camps wurde gezeigt, wie aus zwei herkömm- lichen Räumen eine variable Lernlandschaft für individuelles Lernen  von unterschiedlich großen Schülern gezaubert werden kann. Die  Forderung dieser Arbeitsgruppe an die Bildungsadministration ist,  Schulen von vorn herein an der Ausstattung (Raumkonzept, IT,  Mobiliar etc.) ihrer Schulen zu beteiligen. Denn wer weiß besser,  was zum erfolgreichen Lernen in unterschiedlichen Arbeitsformen  (in Gruppen, mit dem Partner, einzeln, im Plenum oder frontal)  benötigt wird, als die Lehrer und Schüler?  otto:  Damit kommen wir schon zum nächsten Punkt. Für agile  Projekte ist es immer wichtig, die Anspruchsberechtigten im einzube- ziehen. In agilen Verwaltungsprojekten die betroffenen Bürger, in der  Schule die Schüler/innen „Gute Bildungs- ist schlicht gute Zusammen- arbeit“ heißt die zentrale Aussage in unserem ersten Magazin Helix 1.  Was habt ihr Erwachsenen von den Schüler*innen konkret auf dem  Camp lernen können. Jessi:  Wie bereits angesprochen waren Schüler, also Lernende, die  Initiatoren des Camps. Sie begannen das Camp mit den ihnen  zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten zu planen,  suchten sich Verbündete, richteten sich in sozialen Netzwerken  an die Öffentlichkeit, sprachen Politiker und Erwachsene an und  wurden in der Frage der Finanzierung schließlich fündig, indem  die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) offizieller Ver- anstalter wurde und die Günter Papenburg AG das Projekt durch  finanzielle Zuwendungen unterstützte. Die Jugendlichen waren  wichtige Ideengeber und nahmen vor und während des Camps  aktiv an allen Arbeitsgruppen teil; sie waren informiert, kommu- nizierten sachlich angemessen und traten mutig und souverän  stellvertretend für die Schüler Sachsen-Anhalts für die Bedürfnisse  und Forderungen der jungen Generation ein. Schließlich geht  es um ihre Bildung, die sie in ein zeitgemäßes Gewand gekleidet  sehen möchten. Wir können und sollten unseren Schülern mehr vertrauen und zu- trauen. Den Beweis dafür, dass wir es können, möchte ich wie folgt  zusammenfassen: Der Bildungsminister Marco Tullner meldete  sich sehr kurzfristig als Gast im Schulentwicklungscamp an. Auf  die Schnelle organisierten unsere aktiven Schüler ein Gesprächs-


5 Schulentwicklungscamp Forum, denn die Landtagsabgeodneten saßen zu der Zeit im  Unterricht. So, wie man es bei Fridays for Future sieht, konnte  man auch hier –  für viele sicher erstaunlich, für uns nicht –  sehen,  wie klar Jugendliche nachfragen und argumentieren können und  wie souverän und angemessen aber auch kritisch sie dem Bildungs- minister gegenübertreten. Auch Herr Tullner muss beeindruckt  gewesen sein.  otto:  Wie sieht es mit einem weiteren Merkmal agiler Projekte aus?  verSChaFFe dir regelmÄßigeS FeedBaCK von innen und außen, Jessi:  Diese Frage ist schnell beantwortet. Während der gesamten  Zeit wurde fotodokumentiert. Alle Arbeitsgruppen haben ihre  Ergebnisse visuell/digital/fotografisch festgehalten und sind nun  dabei, die Quintessenzen aller 1 Teams zu systematisieren und für  eine Veröffentlichung auf verschiedenen Kanälen zu komprimieren.  Über soziale Medien (Facebook und Twitter sowie moodle) wurden  unsere Ergebnisse tagesaktuell sichtbar, begreifbar und nachvoll- ziehbar gemacht, geliked, kommentiert und geteilt. Wir hatten viele Beobachten im Boot, die uns Veranstaltern täglich  Rückmeldung gaben. Wir halten auch im Anschluss an das Camp  die Kommunikation und Kooperation mit den Teilnehmern. Somit  ist eine kontinuierliche Feedback-Kultur von innen und außen  gewährleistet. Auch Lob ist eine Form von Feedback: Wir wissen, dass es an jeder  Schule Aktive gibt, die Lust haben, sich für ihre eigene Schule stark  zu machen und die bereit sind, dafür viel (Frei-)Zeit und Energie  zu investieren. Diesen Schatz muss man bewahren, unterstützen  und nutzen! Der zweite große Schatz, den man nach einem Camp  hinterlassen kann, sind Lehrer, Schulleiter, Politiker und Mitarbeiter  der Schuladministration, die an drei Tagen einen anderen Blick auf  Schule bekommen können und die Möglichkeit zu einem  Perspektivwechsel erhalten. Das ist exzellente Schulentwicklung.  Wir wurden beispielsweise eingeladen, konkret entwickelte Ideen  im Bildungsausschuss vorstellen zu dürfen und selbst bei poli- tischen Debatten im Landtag ist der Begriff „Schulentwicklungs- camp“ anerkennend gefallen.  Wir haben natürlich auch intern viel diskutiert und unsere Ideen  weiterentwickelt, optimiert und auf den Prüfstand gestellt. Resüm- mierend sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Campidee  ein Format ist, das sich wirklich lohnt!! Nach drei Tagen hinterlässt  man exemplarisch eine andere Schule; denn man betreibt vor Ort  ganz konkrete und greifbare Schulentwicklung. Verallgemeinernd  hinterlässt das Camp aber auch konkret umsetzbare Handlungs- empfehlungen, Ideen oder konkrete Maßnahmen, die landesweit  übertragbar sind.  otto:  Ja ich denke, das beantwortet auch schon unseren letzten Punkt:  Last but not least steht bei agilen Abläufen, wie wir sie vom Forum  agil lernen und lehren verstehen:  maChe So dein SYSTem immer angemeSSener.Soll heißen, optimiere deine Angelegenheit kontinuierlich. Immer mit  dem Blick auf das Ganze.


36 Ich durfte dieser eindrucksvollen dreitägigen Veranstaltung beiwohnen und war mal wieder völlig überzeugt, dass es einfach stimmt, dass Schulent- wicklung auch und aktiv auf Schüler/innen setzen muss. Denn sie sind, es, die Lernen verstehen, wie Hattie es meint: Schaut Lernprozesse durch  die Augen der Schüler/innen an.  Die wissen, wann sie gut und wann sie schlecht lernen. Umso mehr hat mich die Story betroffen gemacht, dass  die Klage einer einzelnen Kollegin vor dem Arbeitsgericht die Schulentwicklungsarbeit von 3 Jahren aus den Angeln heben lässt. Noch keine agile  Verwaltung im Einsatz, sagte da mein Bauchgefühl und schrieb auf dem Heimweg eine kleine pädagogische Zukunftsgeschichte dazu. Was Sie zum Titel wissen sollten: Es gibt schon ein Wunder von Halberstadt - deshalb das „zweite“ Wunder. :-) wir schreiben das Jahr 2029.   10 Jahre ist es nun her, dass in Halberstadt ein kleines pädagogisches  Märchen begann, an desses Ende eine völlig runderneuerte und  deutschlandweit einzigartige Bildungslandschaft entstand, die den  Ruf von Sachsen-Anhalt als heute führendes Bundesland für  innovative pädagogische Ansätze in hellem Glanz erstrahlen lässt.  Es begann damit, dass am Editha-Gymnasium in Magdeburg, das   Jahre lang mit einem Zeitmodell namens 80-10 recht erfolgreich  mit neuen Lernformen experimentierte, eine Kollegin gegen dieses  Modell klagte, weil es arbeitsrechtlich von ihrem Vertrag abwich.  Obwohl der ganze Rest des Kollegiums für 80-10 gestimmt hatte,  gab das Arbeitsgericht der Kollegin recht und die Bildungsbehörden  sahen sich in der unangenehmen Pflicht, dem Editha-Gymnasium  80-10 zu verbieten. Nach  Jahren innovativer Ansätze und viel  Zeiteinsatz, Herzblut und Ideenvielfalt mussten die Lehrer/innen  zum üblichen 45-Minutenrhythmus zurückkehren und die Zukunft  kurzfristig wieder einmotten.  das zweite wunder von halberstadt ein magdeFiction Das zweite Wunder von Halberstadt Jessi : Genau das ist ja der Sinn unseres Camps gewesen. Es geht  nicht darum, anzuprangern oder zu nörgeln sondern den Ist-Zu- stand zu optimieren. Es geht nicht darum, das Bildungssystem zu  stürzen oder zu rebellieren. Es geht um das kluge Schließen von  Lücken, um das genaue Definieren von Grauzonen, es geht darum,  ein funktionierendes Netzwerk aufzubauen und Kommunikation  offen und transparent über verschiedene Hierarchieebenen hinweg  zu ermöglichen. Vom Lernenden über die Lehrenden bis zur  Schulaufsicht und den Gesetzgebern. Nur so kann es gelingen, eine  Kehrtwende im Sinne einer maximalen Optimierung zu erreichen. In vielen Karikaturen wird das Bildungssystem Sachsen-Anhalts  als ächzendes Dampfschiff beschrieben, was den Kurs nur schwer  wechseln kann. Unserer Meinung nach geht das auch nicht, wenn  der Steuermann keinen „Funkkontakt“ zu den Matrosen hat, die  ständig Kohle in die Motoren schaufeln und die Maschinen auf  Volldampf halten, wenn eine Verlangsamung des Tempos angesagt  ist, um – bildlich gesprochen – vor dem Crash mit dem Eisberg  zu wenden. Wenn der Steuermann aber nicht aktuelles funktio- nierendes Navigationsgerät nutzt, sondern seine Kursdaten von  einer Floppi-Disk anno 199 abliest, nutzt ihm das Drosseln des  Tempos auch nichts. Und schließlich: wenn Schüler mit ihrem  Super-Highspeed-Power-Innovations-Boot den #enterschool-Anker  auswerfen und als helfendes Vehikel zur Kurswende beitragen können,  der Kapitän diesen aber nicht annimmt, gibt es keine Rettung  mehr. Weg von der Karikatur hin zur Realität: Wir hoffen, dass unser  Schulentwicklungscamp ansteckend wirkt, dass wir weiterhin fach- kompetenz- und hierarchieübergreifend zusammenarbeiten dürfen  und werden und das System am Ende optimieren, oder, wie du es  sagst, Herr Kraz, angemessener machen können. Wenn wir dazu  beitragen können, dass Schulen ihre eigenen Energien einsetzen  dürfen, um Notlagen wie Ausstattung oder Lehrermangel individuell  lösen zu dürfen (Rhythmisierung, Schüler-Tutorials), dann haben  wir viel erreicht. Es geht immer um Entwicklung.  Positive Entwicklung zieht positive Entwicklung nach sich.  otto:  Sehr beeindruckend, eure Idee, Schule an drei Tagen in die  Zukunft zu schubsen. Wir drücken die Daumen, wir werden euren  Weg verfolgen und wünschen weiterhin viel Erfolg.


Das zweite Wunder von Halberstadt So begann in Sachsen-Anhalt das hochspannende Spiel zwischen  den „So-haben-wir-das-aber-schon-immer-gemacht“-Vertretern  und den „Wir-kennen-aber-die-Lösung“-Leuten.  Für die „So-haben-wir-das-aber-schon-immer-gemacht“ Leute war  die Idee von individuellen Lernansätzen eher etwas, das man zwar  richtig gut in Bildungsplänen verkaufen konnte, die ihrer Meinung  nach aber in der Realität doch viel zu teuer waren. Also ließ man es  lieber wie es war. „Never change a running system“ war ihr Credo.  Nur war das deutsche Bildungssystem leider schon längst kein  Running System mehr. Als im September 2019 eine sehr starke  Frau/Mannschaft von „Wir-kennen-aber-die-Lösung“ -Verfechter/ innen ein Schulentwicklungscamp in Halberstadt durchführte und  der Kultusminister und Landtagsabgeordnete aus allen Parteien vor  Ort erstaunt feststellen mussten, dass die „Wir-kennen-aber-die- Lösung“-Leute tatsächlich Lösungen vorzeigen konnten, da begann  das Spiel um die Zukunft der Bildung in Sachsen-Anhalr. Der Kultusminister zuckte damals in Halberstadt mit den Schultern,  als er von dem Zurückdrehen der Uhr von 80-10 auf zweimal 45  hörte. „Das ist eben Gesetz, da sind mir die Hände gebunden,“  meinte er. Auf die Frage einer jungen Lehrerin aus dem Editha- Gymnasium, was man denn tun könne, um die Zukunft zurückzu- erobern, gab er wahrscheinlich höchstgpersönlich den Startschuss  für das „zweite Wunder von Halberstadt“: „Bleiben Sie dran,  geben Sie nicht auf!“   ermunterte er die Kollegin. Sollten Sie als Leser/in mit 80-10 noch nichts anfangen können:  80-10 war ist eine kreative Methode, um für individuelles Lernen  Raum zu schaffen. Motto: Mache die 45 Minuten zu 40 Minuten  und unterrichte in 80 Minutenblöcken. Die 10 Minuten, die man  dabei gespart hat, fasst man zu eigenen Zeitkontingenten zusammen.  Damit konnte man damals am Edison-Gymnasium sowohl  Spitzenförderung sowie Aufholförderung betreiben. Ohne dass es  mehr Geld kostete oder mehr Deputate erforderte. Sie nannten  die Spitzenförderung Rakete 2.0 und die Aufholförderung Rakete  1.0. Eine Weiterentwicklung von dem Konzept „Reservetank“. Mit  Rakete 1.0 hatten die Wir-kennen-aber-die-Lösung“-Leute vom  Editha schon im ersten Jahr des Experiments dem Land Sachsen- Anhalt klammheimlich 15 000 Euro gespart. Die Rechnung war  schlicht: Rakete 1.0 war ein mentales Unterstützungs-Programm  für Versetzungsgefährdete. Durchgeführt im 10 von 80-10. Eine  Spezialität des Hauses Editha. Damit ließ sich die Nichtverset- zungsquote an der Schule schon im ersten Jahr mehr als halbieren.  Bei 1000 Schüler/innen mit einer Nichtversetzungsquote in Sachsen- Anhalt von 2,2% blieben am Editha nur noch 0,4% sitzen. 18  Versetzungsgefährdete starteten zum Erstaunen aller Beteiligten  selbstständig durch. Bei 500€ pro Schüler und Schuljahr waren  das 15 000 gesparte Euro für den Steuerzahler und natürlich auch  für die Steuerzahlerin. Ohne dass es jemand bemerkte. Und genau das war wohl der Ausgangspunkt für das, was man  später das zweite Wunder von Halberstadt nannte.  „Herr Minister“ schrieb die junge Kollegin des Editha-Gymnasi- ums 4 Wochen nach dem Schulentwicklungscamp EnterSchool  in Halberstadt. „Darf ich Ihnen einen Deal vorschlagen?“ ... Ja im  Jahre 2019 machten eigentlich irgendwie alle Deals. Boris Johnson  wollte einen guten Deal mit der EU machen, Donald Trump viele  gute Deals mit der ganzen Welt. Einen guten Deal machen war  offensichtlich der Zeitgeist geworden. Da fiel es gar nicht so auf, als 


38 Das zweite Wunder von Halberstadt die junge Kollegin aus Magdeburg ihrem Kultusminister auch  einen Deal vorschlug. „Sie haben mir bei Ihrem Besuch auf  unserem Bildungscamp geraten, um unsere Sache zu kämpfen.  Deshalb würden wir Sie heute gerne mit ins Boot nehmen....“ Und  sie erzählte ganz genau, wie dieses System 80-10 kein zusätzliches  Geld kosten würde und wie das Konzept Rakete 1 im letzten  Schuljahr dem Landeshaushalt 15 000 Euro gespart hätte, ohne  dass das jemand aufgefallen wäre.  „ Deshalb lassen Sie uns einen Deal machen:“ schrieb sie. „Sie  überreden garantiert mit links Ihre Verwaltung, dass sie nicht stur  nach den Paragraphen arbeiten und ein wenig mutiger auftreten  sollte, weil ein flexibleres Umgehen mit 80-10 dem Haushalt viel  Geld sparen und dem Ruf des Bildungslandschaft Sachsen-Anhalt  sehr gut anstehen würde. Die eingesparten Kosten, die Rakete 1.0  einbringt, teilen wir uns. Ihre Verwaltungsfachleute werden einen  Weg finden, wenn Sie ihnen den Auftrag geben, da bin ich mir  sehr sicher. Verwaltungen können auch agil, wenn man sie lässt.  Schauen Sie nach Heidelberg oder nach Schweden. Mit Ihrem  Anteil des Deals besitzen Sie einen Joker für Ihren Haushalt.  Unseren Anteil stecken wir natürlich direkt in unsere Schule.  Denn auch wir können agil, wenn man uns lässt. Das haben Sie  sicher in Halberstadt gesehen.  Lieber Herr Minister, man nennt das WinWin....“ Das kurze Nicken des Ministers damals zu diesem Deal nennt  man heute ehrfürchtig den Zeitpunkt des „großen Dammbruchs“.  Denn gleichzeitig zum Nicken bekam die junge Lehrerin zusam- men mit dem innovativen Team rund um die LiGa (Lernen im  Ganztag) folgenden Auftrag: „Sie sorgen dann aber dafür, dass  Rakete 1.0 an möglichst vielen Schulen zum Einsatz kommt. ...“  Der Minister hatte nachrechnen lassen. Bei den üblichen 500  Nichtversetzungen im Lande kostete dies 26 Millionen Euro im  Jahr. Ein Schatz, den er gerne möglichst vollständig heben wollte.  1 Millionen für den Landeshaushalt, 1 Miliionen für die Schulen  direkt. was für ein Traum.  Und so entstand nach dem großen Dammbruch wie von Zauber- hand ein Fortbildungssystem namens EnterSchool, das mit Hilfe  von Verwaltungen - die merkten, dass Zulassen und Vertrauen eine  echte Option war und dass der Auftrag des Ministers, Schulen dabei  zu unterstützen, ihre eigenen starken Konzepte für die Bildung der  Zukunft zu finden, sie selbst entlastete und ein ganz neues Verwal- tungsgefühl entstehen ließ - Erfolgsgeschichte schrieb. Die Schulen des Landes gingen tatsächlich nach dem großen  Dammbruch sehr unterschiedliche Wege, allerdings orientierten  sich alle an den ersten Konzepten des Editha-Gymnasiums, dessen  Projektskizzen für viele neue Konzepte als Blaupause herhalten  sollten.  und so wurde Sachsen-anhalt zum Sillicon-valley der Bildung. Das ursprüngliche Konzept von EnterSchool, das sich natürlich im  Laufe der Jahre permanent veränderte, optimierte und effektiver  wurde, war offensichtlich ein echtes Erfolgsrezept, weil das Fortbil- dungsteam nach agilen Vorstellungen arbeitete:  das ganze im Blick behalten, dann aber einfach anfangen und kleinschrittig reflektieren und immer wieder neu anpassen.   Nicht der Plan stand im Vordergrund, sondern der Prozess. Die LiGa Sachsen-Anhalt bekam den Auftrag, zuerst einmal LiGa- Schule um LiGa-Schule zu „entern“. Man muss wissen, dass ...  https://www.lernen-im-ganztag.de/laender/sachsen-anhalt/ Die LiGa in Magdeburg hatte drei wesentliche Werkzeuge im Koffer  und natürlich zusätzlich sehr viele Ideen. Rakete, Luuise und  eduScrum. Das Luuise-Konzept aus der Schweiz konnte durch  zwei offizielle Luuise-Coaches vermittelt werden und eignete sich  als Opener für eigenständige Schulentwicklung. Die LiGa hatte  auch zwei eduScrum-Trainerinnen ausbilden lassen, ein hoch- effizientes Konzept für selbstständiges Arbeiten von Schüler/innen  im Team. Das Konzept Rakete 1.0 war in Magdeburg entwickelt  worden, also eine echte Eigenmarke. Die Startidee war schlicht: Nimm die Leistungsstärksten des Fachs  und zeige ihnen, wie man mit eduScrum arbeiten und „überholen“  kann. Baue dann diese Spezialisten immer wieder als Assistenten  ein. Die leistungsmäßig Abgehängten - die Gründe dafür liegen  ja meist nicht im Nichtkönnen, sondern im Nichtwollen und an  den Lücken, die entstehen, wenn man sich nicht wirklich aktiv  auf Lernen einlassen kann - wurden in einem Zusatzkurs namens  Rakete 1.0 unterstützt, damit sie aus eigener Kraft ihre Fähig- keiten entwickeln konnten. Grundlage war narürlich, dass die  Beziehungsebene zwischen Lernenden und Lehrenden stimmte. 


9 Das zweite Wunder von Halberstadt Das erreichte man mit der Methode aus der Schweiz: Luuise, ein  Feedbackkonzept, das auf Zusammenarbeit zwischen Schüler/in- nen und Lehrer/innen setzt und vollautomatisch Vertrauen schafft.  Das Einstiegs-Konzept von EnterSchool sah natürlich von Anfang  an die Einbeziehung der Schüler/innen vor. „Schüler/innen müssen  lernen, dass Lernen harte Arbeit ist, die man mit viel Spaß bewältigen  kann, wenn man die richtige Haltung lernt. Das müssen Lernende  und Lehrende wissen.“ So war das grundsätzliche Motto. Das nur  am Anfang sehr ausführlich erläutert werden musste, weil sich die  LiGa nach den sehr erfolgreichen EnterSchool-Fortbildungen an  den ersten Schulen nicht mehr vor Anmeldungen retten konnte.  enterSchool mit den drei Säulen war nicht mehr aufzuhalten.


0 Helix  ausblick auf helix 3      Otto Kraz agil verwalten und agil leiten ermöglicht viel agil lehren und lehren.Nach zwei Helix-Magazinen - so denken wir - wird klar, dass agiles  Lernen und Lehren nur dann ihre volle und effektive Wirkung  entfalten kann, wenn dahinter eine Hoch-/Schulleitung steht, die  zulassen kann und vertraut.  Agilität im Unterricht ohne diese Rückendeckung ist mutig und  ein echter Kraftakt für Einzelkämpfer. Mit Rückendeckung sieht  das völlig anders aus. Es muss keine Schule komplett auf Agilität  setzen. Man kann mit Rückendeckung der Leitung mit einem  Team von Kollegen als agile „Schule in der Schule“ agieren. „Lass  sie doch bitte einfach machen, ihr müsst es ja nicht machen.“  Das war der zentrale Satz meines eigenen Direktors, der uns jungen  Wilden vor über 0 Jahren Etnwicklungsaum gegeben hat. Was  dabei herauskam berichte ich im nächsten Magazin, in dem es  genau um dieses Thema gehen wird: Agile Leitung. In der Nord- westschweiz sagt man schon jetzt „Kontextsteuerung“ dazu. Auch  darüber werden wir berichten. Kontextsteuerung - da ist agiles  Denken noch „viel höher“ angesiedelt. Da will eine Bildungsver- waltung, dass die Leitungen der Schulen agil denken. Zukunft der  Bildungsverwaltung. Wir werden berichten.  Stellen Sie sich doch einmal diese Vision vor: Verwaltungen  würden agil werden und ließen Freiräume zu, Leitungen würden  agil werden und ließen Freiräume zu, Kolleg/innen würden agil  werden und ließen Freiräume zu. Und Schüler/innen hätten die  Chance, ihre Bildung in die eigene Hand zu nehmen. Ja wenn man  diese Vision irgendwo umsetzen könnte (Verwaltungen aufgepasst  - dieser Paradigmenwechsel kostet kein Geld), dann könnte man  der Zukunft von Schule beim Entwickeln direkt zuschauen.  Herausgeber Forum agil lernen und lehrenKontakt Heinz Bayer alias Otto Kraz www.aufeigenefaust.com otto.kraz@aufeigenefaust.com Freiburg Herbst 2019 ein kleiner nachklapp:In seinem neuen Buch aus der Visible  Learning Reihe, - „Kenne deinen Einfluss!“  - hat John Hattie die  Zusammenfassung der Grundhaltung  erfolgreicher Lehrpersonen zusammen mit  Klaus Zierer in 10 Kapiteln beschrieben.  Man sollte als erfolgreiche Lehrperson  wissen, warum man erfolgreich ist. :-) Ich habe mir erlaubt, die 10 Grund- haltungen auch für erfolgreiche Lernende  zu „übersetzen“. außerdem:  Als aufmerksame/r Helix-Leser/in wird es Ihnen  aufgefallen sein: Wir visualisieren hier schon zu dritt: neu im Boot: Sandra Bach alias Bibi Rosa www.bibirosa.de


41 Subheadline ausblick auf helix 3      Otto Kraz


2 Subheadline © Forum agil lernen und lehren